Dune 07 - Die Jäger des Wüstenplaneten
hin und her. »Ich habe Hunger. Werden wir bald essen?«
»Wir können uns keine Unterbrechung erlauben! Du musst so viel wie möglich aufnehmen.«
Der Junge atmete tief durch, legte das kleine, spitze Kinn in die Hände und widmete dem Meister seine ganze Aufmerksamkeit. Scytale setzte erneut zum Sprechen an, doch diesmal redete er noch schneller.
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Ich weiß, wer ich war. Die historischen Dokumente sind hinsichtlich der Fakten recht eindeutig. Doch die viel wichtigere Frage, die weit schwieriger zu beantworten ist, lautet: Wer bin ich?
Paul Atreides,
Unterrichtsstunden im Nicht-Schiff
Duncan schaute von außen durch ein Spionfenster in den Unterrichtsraum und hatte das Gefühl, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Die acht Schüler unterschiedlicher Altersstufen und historischer Bedeutung waren allesamt eifrig dabei, ihre täglichen Lektionen mit wechselhafter Rastlosigkeit, Besorgnis und Faszination über sich ergehen zu lassen.
Paul Atreides war ein Jahr älter als seine Mutter, sein Sohn Leto II. war ein frühreifer Säugling, und sein Vater Herzog Leto war noch gar nicht geboren. Eins steht fest: In der gesamten Geschichte hat es noch nie eine solche Familie gegeben. Duncan fragte sich, wie sie mit dieser eigentümlichen Situation umgehen würden, wenn ihre Erinnerungen aktiviert waren.
An den meisten Tagen führte Proctor Superior Garimi jeden der jungen Gholas durch ein ausgewogenes Programm aus Prana-Bindu-Übungen, sportlichem Training und Prüfungen der geistigen Gewandtheit. Die Bene Gesserit hatten ihre Akoluthen seit Jahrtausenden in ihrem Sinne geformt, und Garimi wusste genau, was sie tat. Sie hatte die Verantwortung für die Ghola-Kinder nicht aus Liebe übernommen, aber sie fügte sich in ihre Rolle, da sie wusste, dass ihr eine viel schlimmere Strafe drohte, sollte irgendeinem von ihnen etwas zustoßen. Mit diesen intensiven körperlichen und mentalen Ausbildungsmethoden hatte die Entwicklung der Kinder rasante Fortschritte gemacht. Sie waren bereits wesentlich reifer und intelligenter als vergleichbare Jungen und Mädchen im gleichen Alter.
Garimi hatte die kleine Gruppe in ein großes Solarium geführt und ihnen Material und eine Aufgabe gegeben. Während Duncan sie heimlich beobachtete, konnte die Gruppe sich völlig allein wähnen. Die Kammer war in warmes gelbes Licht getaucht, dessen Spektrum angeblich dem der Sonne von Arrakis entsprach, an die glatte Decke war ein künstlicher blauer Himmel projiziert, und man hatte eine Schicht aus weichem Sand aus dem Frachtraum auf den Boden aufgetragen. Dieser Raum sollte Erinnerungen an Dune wecken, ohne die harte Realität dieser Welt zu simulieren.
Der perfekte Ort für ihre Aufgabe.
Mit Bauklötzen aus neutralem Sensiplaz, Formwerkzeugen und historischen Grundrissen sollten die Ghola-Kinder ein herausforderndes und ehrgeiziges Projekt bewältigen. Gemeinsam würden sie ein maßstabgetreues Modell des Großen Palasts von Arrakeen aufbauen, der einst vom Imperator Muad'dib während seiner gewalttätigen Herrschaftszeit errichtet worden war.
Das Archiv der Ithaka enthielt zahlreiche Bilder, Berichte, Touristenbroschüren und oftmals widersprüchliche Baupläne. Aus seinem zweiten Leben erinnerte sich Duncan, dass der reale Große Palast viele geheime Gänge und verborgene Zimmer enthalten hatte, die natürlich nicht in den Plänen verzeichnet waren.
Paul hob einen Formerhandschuh auf und betrachtete ihn skeptisch. Er probierte ihn aus und breitete das frei formbare Material zu einer hauchdünnen, aber festen Schicht aus: das Fundament seines Palasts. Die anderen Kinder verteilten rohe Blöcke aus Sensiplaz, von denen sich stets neue aus den Lagern des Schiffes heranschaffen ließen.
In den vorausgegangenen Unterrichtsstunden hatten die Gholas biographische Darstellungen ihrer historischen Vorbilder studiert. Immer wieder hatten sie ihre eigene Geschichte gelesen, sich mit den verfügbaren Einzelheiten vertraut gemacht, während sie im Geist und im Herzen suchten, um die undokumentierten Motive und Einflüsse zu verstehen, die sie geformt hatten.
Wenn sie ganz von vorn anfingen, würde sich dann irgendeiner dieser genetisch identischen Nachkommen genauso wie in der Vergangenheit entwickeln? Auf jeden Fall wuchsen sie unter ganz anderen Verhältnissen auf.
Die Kinder erinnerten ihn an Schauspieler, die Rollen für ein Stück mit riesengroßer Besetzung lernten. Sie schlossen bereits Freundschaften und Bündnisse.
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