Dune Legenden 02 - Der Kreuzzug
hatte wieder geheiratet, wie es unter den rauen Wüstenbewohnern Sitte war, und bereits drei Kinder zur Welt gebracht. In ihrem Herzen hielt sie Rafel immer noch in Ehren, aber jeder aus Ishmaels Flüchtlingsgruppe hatte Familienmitglieder verloren, entweder auf Poritrin oder auf Arrakis. Sie mussten nach vorn blicken, nachdem sie nun wussten, dass dies ihre neue Heimat war.
Die hübsche Marha trat an Ishmaels Seite und blickte über die Wüste. Er lächelte ihr herzlich zu, und beide genossen die Nähe des anderen. El'hiim, ihr von Selim Wurmreiter gezeugter Sohn war zu einem guten Jungen herangewachsen, der fast zehn Jahre zählte. Inzwischen hatte er gelernt, etwas vorsichtiger zu sein und nicht in jeden unerkundeten Felsspalt zu kriechen, in dem schwarze Skorpione lauern mochten.
* * *
Ein knappes Jahr nach der Rettung der Flüchtlinge hatte Marha kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Ishmael als würdigen Nachfolger Selims betrachtete. Sie war mit einem gesunden und intelligenten Sohn gesegnet, und gemäß der Sitte der Zensunni und den Notwendigkeiten eines harten Nomadenlebens wurden vaterlose Kinder oder Frauen, die ihren Ehemann verloren hatten, nicht verbannt.
»Ich war die Frau des Wurmreiters«, hatte sie in der Stille der Höhle zu ihm gesagt und wie eine Wüstenprinzessin stolz den Kopf gehoben. Die sichelförmige Narbe über ihrer linken Augenbraue wirkte im Zwielicht blass. »Nachdem Shai-Hulud meinen Mann und den bösen Naib Dhartha verschlungen hatte, hätte ich mich eigentlich für Jafar entscheiden sollen. Aber ...«
Sie wandte den Blick ab, dann sah sie Ishmael wieder an. »Jafar hält Selims legendäres Angedenken in großen Ehren, aber er lässt sich von seinem Schatten einschüchtern. Er hat es nie gesagt, aber ich spüre, dass er es als ... Frevel empfinden würde, wenn er mich zur Frau nehmen würde. Auch die anderen Männer haben Selim verehrt und sind ihm wie einem Propheten gefolgt. Sie behandeln mich wie eine unberührbare Göttin.« Marha legte einen Hand auf seinen Arm. »So kann ein Mensch nicht leben, Ishmael.«
Er sah sie an. »Und da ich noch verhältnismäßig fremd bin, glaubst du, dass ich mich nicht von derartigen Erwartungen erdrücken lasse?«
»Du bist der Anführer deines Volkes, ein Mann, dem sie Respekt zollen, der gerecht und entschlossen ist und keine Angst hat, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Du bist ein fester Fels, keine weiche Düne, die sich von jedem Windhauch verändern lässt.«
Er runzelte die Stirn. »Du verlangst von mir, meine andere Frau zu vergessen?«
Marha schüttelte den Kopf. »Du sollst gar nichts vergessen. Auch ich werde meinen ersten Mann nie vergessen. Wir beide haben eine Vergangenheit, Ishmael ... und eine Zukunft. Gemeinsam sind wir stärker.«
Ihre Worte machten ihm Angst, aber er erkannte auch die Wahrheit, die darin lag. »Du hast mir eine schwere Verantwortung aufgebürdet.« Sie war ihm sehr nahe, sodass er sich von ihrer Intelligenz und Schönheit berauscht fühlte.
Sie zuckte die Achseln, dann küsste sie ihn auf die stoppelige Wange. »Wir alle tragen unsere Bürde.«
Also vermählten sie sich und arbeiteten gemeinsam daran, den wachsenden Stamm der Gesetzlosen zu führen und die Bemühungen fortzusetzen, den Gewürzhandel zu unterbinden. Sie schworen, Shai-Hulud zu verteidigen und zu verhindern, dass Arrakis weiter ausblutete.
* * *
Nachdem er die Stammesmitglieder an diesem Morgen zum Höhleneingang gerufen hatte, blickte Ishmael sein Volk an, das ihm über unvorstellbare Entfernungen gefolgt war, und auch die anderen, die ihn als Nachfolger von Selim Wurmreiter akzeptiert hatten. Hinter ihm wurde der neue Tag immer heißer.
Selim hatte viele Visionen gehabt und durch seine Verbindung zum großen Shai-Hulud, mit Hilfe der Melange, Einblicke in die Zukunft genommen. Ishmael besaß keine derartige Quelle, die ihn in seinen Entscheidungen führte. Er musste die Koran-Sutras und all die anderen Schriften studieren, in der Hoffnung, den Willen Gottes korrekt bestimmen zu können. In den dunkelsten Stunden der Nacht schaute Ishmael manchmal in die unendliche Wüste hinaus, als könnte er dort irgendwo die Zukunft erkennen ...
Als die Sonne über die zerklüfteten Hügel stieg, nahm er einen tiefen Atemzug der herben, trockenen Luft. Arrakis war viel lebensfeindlicher als Poritrin oder Harmonthep, aber der Planet war seine neue Heimat, ein Ort, an dem er ohne die Gefahr der Sklavenhalter und der
Weitere Kostenlose Bücher