Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Stimme, die sie sprach, nicht wirklich eine menschliche Stimme war. Es war ein Zischeln und Pfeifen, wie das Geräusch einer Schlange, oder ein Laut, wie es ein großes Insekt verursachen mochte. Es erinnerte ihn an die Art, auf die Vera ihren Namen ausgesprochen hatte, als er sie das erstemal traf. Seltsamerweise verstand er den Sinn der Frage trotzdem.
    Er wollte antworten, aber ein anderes, nicht minder unheimliches Zischeln kam ihm zuvor.
    »Was soll diese Frage? Du siehst doch, daß er naß und erschöpft ist. Hast du die Regeln der Gastfreundschaft vergessen? Setz dich, Fremder. An unserem Feuer ist für jeden Platz, der Wärme und einen Ort zum Ausruhen sucht.«
    Jan setzte sich, und kaum hatte er es getan, da gerannen die Schatten ringsum zu Gestalten – Gottlob zu denen, die ihm der Fotoapparat gezeigt hatte, nicht zu den unheimlichen, insektenäugigen … Kreaturen , die er für einen kurzen Moment gesehen hatte. Neben ihm saß eine alte Frau – sie konnte ebensogut sechzig wie zweihundert sein – in bunter Zigeunerkleidung. Ihre Nachbarin zur Rechten war jung genug, um ihre Enkelinsein zu können, aber nicht besonders hübsch, und der Langhaarige auf der anderen Seite des Feuers sah aus der Nähe betrachtet noch finsterer aus. Alle drei hatten die gleichen unheimlichen Augen wie Vera und der Junge.
    »Danke«, murmelte Jan. »Ich möchte mich nur … einen Moment wärmen.«
    »Trockne deine Kleider, Fremder, und streck deine müden Füße aus.« So, wie die alte Frau die Worte aussprach, klangen sie nach einer zeremoniellen Begrüßungsformel. Wahrscheinlich waren sie es. Jan kam sich mit jedem Moment … unwirklicher vor. Wie in einem surrealistischen Traum gefangen.
    »Danke«, murmelte er noch einmal. Er beugte sich vor, streckte die Hände über die prasselnden Flammen und genoß für einen Moment die Wärme, die sich in seinen klammen Fingern ausbreitete. Aber wirklich nur für einen Moment, denn die Wärme weckte auch den Schmerz in seiner rechten Hand. Er biß die Zähne zusammen und versuchte einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Offensichtlich hatte er sich aber nicht besonders gut in der Gewalt, denn die alte Frau griff wortlos nach seinem Arm, drehte sein Handgelenk herum und blickte stirnrunzelnd auf seine Handfläche.
    Jan erschrak selbst bei dem Anblick. Die Wunde sah viel schlimmer aus als noch vorhin. Sie war größer geworden, und das Fleisch schien sich irgendwie … in Auflösung zu befinden, als hätte eine tückische Säure es berührt, die sich nun tiefer und tiefer in seine Hand hineinfraß.
    »Das sieht nicht gut aus«, sagte die Alte. »Silber?«
    Jan nickte. »Es fühlt sich auch nicht gut an«, murmelte er. Seine Stimme bebte, und schon der bloße Anblick seiner Hand drehte ihm fast den Magen um. Trotzdem triumphierte er innerlich. Wenn seine Hand schon so aussah, welchen Anblick mochte dann erst Vlads Bein bieten?
    »Ich muß das behandeln«, sagte die alte Frau. »Es wirdnicht weh tun.« Es war keine Frage, und Jan nickte auch nur. Jede Hilfe war ihm im Moment recht. Schmerz? Warum erzählte sie ihm nicht etwas Neues?
    Er sah ganz bewußt nicht hin, während die Alte in ihren Habseligkeiten zu kramen begann und sich anschließend an seiner Hand zu schaffen machte. Was immer sie tat, es tat weh, aber gleichzeitig spürte er auch, daß es ihm half. Die Schmerzen in seiner Hand waren fast unerträglich, aber das verzehrende Feuer tief in seinem Fleisch begann zu erlöschen.
    Der Langhaarige auf der anderen Seite des Feuers sah dafür um so genauer hin, was die alte Frau tat. Nach einer Weile fragte er: »Wie ist das passiert?«
    Jans Gedanken überschlugen sich. Da er weder wußte, wo er war, noch wer diese Leute waren, wußte er auch nicht, was er sagen sollte. Er konnte noch so vorsichtig sein; alles, aber auch wirklich alles , was er sagte, mochte sich als falsch erweisen.
    »Es war … ein Versehen«, sagte er schließlich. »Ich war ungeschickt.«
    »Ungeschickt?« Der Langhaarige lachte. Er hörte sich nicht besonders amüsiert an. »Ja, so kann man es auch ausdrücken. Lüg mich nicht an, Kerl!«
    »Mäßige dich!« sagte die Alte scharf. »Der Fremde steht unter dem Schutz des Gastrechtes!«
    »Desselben Rechtes, das von ihm verlangt, die Wahrheit zu sagen«, antwortete der Langhaarige gereizt. »Und er lügt. Das da war Silber! Der Griff eines silbernen Messers! Ich habe solche Wunden schon zur Genüge gesehen. Und du auch!« Er machte eine heftige Geste. »Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher