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Dunkel ist die Zukunft

Dunkel ist die Zukunft

Titel: Dunkel ist die Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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konnte der Eingang liegen. Langsam, unendlich langsam, richtete er sich auf und streckte die Hand nach der Kamera aus. Zwischen seinen Fingern glitzerte ein rundes Glas, geschliffen wie ein Prisma, aber viel zu dick dafür, und auf sonderbare Weise gleichzeitig durchsichtig wie milchig. Seine Hand brauchte zehn Minuten, um die knapp zwanzig Zentimeter zurückzulegen, und seine Kräfte drohten abermals zu erlahmen. Er wartete. Die Kamera drehte sich, hielt an, drehte sich weiter, richtete sich für einen Moment genau auf seine Hand. Raouls Finger zuckten in einer unglaublich schnellen Bewegung vor. Das Prismenglas prallte klirrend gegen die Aufnahmeoptik und verdeckte sie. Für den Bruchteil einer Sekunde verzerrten graue Schlieren das Glas, und Raoul wußte, daß jetzt irgendwo im Inneren des Berges eine Alarmglocke anschlug und wahrscheinlich ein Monitor zum Leben erwachte. Dann klärte sich das Glas, und unten auf dem Monitor würde im gleichen Moment nichts anderes als das vertraute Bild des Waldrandes zu sehen sein, farbig und dreidimensional und sogar mit der Illusion von Bewegung - aber ohne die Sharks, die auf sein Zeichen hin aus ihrer Deckung traten und sich dem Hang näherten. Das Prisma filterte sie einfach heraus, so, wie es alles aus dem Bild herausgefiltert hätte, von dem Raoul wollte, daß es es tat. Es war ein kleines Wunderwerk, dieses harmlos aussehende Glas. Es war nicht auf der Erde gemacht worden. Raoul erhob sich stöhnend und verbrachte die nächsten Minuten damit, seine Hand- und Fußgelenke zu massieren, bis das Leben kribbelnd in seine Glieder zurückkehrte. Dann drehte er sich zu Bart und den gut hundert anderen Sharks herum, die hinter ihm stehengeblieben waren, zog seine Waffe und deutete auf den dreieckigen Spalt im Berg. »Los!« befahl er. Es ist völlig unmöglich, dachte Charity, absolut ausgeschlossen. Aber der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches war Niles. Niles, mit dem sie zum Mond und zum Mars und dann zum Sternenschiff hinaufgeflogen war. Sie hatte ihn gemocht, hatte gern mit ihm zusammengearbeitet. Niles war ein gutes Jahr jünger als sie gewesen, ein Bild von einem Mann, sehr intelligent, nur manchmal hatte er sich darin gefallen, den dummen Nigger zu spielen. Jetzt aber war er ...
    Charity starrte das Gesicht auf der anderen Seite des Tisches an, suchte krampfhaft nach Worten und versuchte vergeblich, das Entsetzen zu unterdrücken, mit dem der Anblick sie erfüllte. Niles war alt. Unglaublich alt. Sein Gesicht schien nur noch aus Runzeln und Falten zu bestehen. Er hatte keine Haare mehr. Seine Wangen waren eingefallen, und seine Augen, die immer so lebenslustig und wach gewirkt hatten, waren vom Alter trüb geworden. »Großer Gott«, flüsterte sie schließlich. Mehr brachte sie nicht heraus. Sie konnte nicht in Worte fassen, welche Gefühle Niles' Anblick in ihr auslöste. Und dann dachte sie, daß ihre Reaktion ihn tief verletzen mußte. Betreten senkte sie den Blick. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, Laird«, sagte er. Seine Stimme war dünn, wirkte aber dennoch voller Kraft. »Für mich war es ein ebensolcher Schock, Sie zu sehen. Aber ich war nicht ganz unvorbereitet.« Er deutete auf einen der kleinen Bildschirme, die nebeneinander auf einem Bord hinter dem Schreibtisch aufgereiht waren. »Ich hatte eine halbe Stunde, mich an den Gedanken zu gewöhnen.« Er lachte. »Ich habe mir eine Menge kluger Worte zurechtgelegt, mit denen ich Sie begrüßen wollte - aber eigentlich ist das alles albern. Wer ist Stone?« Charity sah wieder auf. Es fiel ihr noch immer schwer, dem Blick seiner um zwei Generationen gealterten Augen standzuhalten. »Niemand«, antwortete sie. »Niemand?« »Ein Mann, den ich hier zu treffen erwartete. Es spielt keine Rolle.« Plötzlich fiel ihr wieder der erste Gedanke ein, der ihr durch den Kopf geschossen war, als sie ihn erkannte. »Wieso leben Sie noch?« Die Worte taten ihr schon im gleichen Moment wieder leid, in dem sie sie aussprach. Selbst in ihren eigenen Ohren klangen sie fast wie ein Vorwurf. Aber Niles schien ihr die Bemerkung nicht übelzunehmen. »Unkraut vergeht nicht, das wissen Sie doch.« Er lachte wieder, aber diesmal klang es nicht echt. Charity hatte das Gefühl, daß ihm das Sprechen große Mühe bereitete. Er hustete. »Ich habe es überlebt, so wie Sie - wenn ich mich auch nicht ganz so gut gehalten habe.« »Aber New ... « »Ich bin herausgekommen«, unterbrach sie Niles.

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