Dunkel ist die Zukunft
das Feuer eingestellt; aber obwohl der Kampf alles in allem nicht einmal zehn Minuten gedauert hatte, gab es auf beiden Seiten Dutzende von Opfern zu beklagen - Charity schätzte, daß mindestens zwanzig, vielleicht auch dreißig Sharks getötet worden waren, während es beinahe hundert Bunkerbewohner erwischt hatte. Selbst Mark war sehr still geworden, als er die Bilanz des kurzen Gefechtes gehört hatte. Natürlich würde er niemals zugeben, daß Charity richtig gehandelt hatte. Es spielte auch keine Rolle, dachte sie düster, während sie zusah, wie die kleine Kolonne sich dem Rande der Wüste näherte und die ersten Wagen bereits langsamer wurden, um einen steilen Hang hinaufzukriechen. Es waren fast dreihundert Menschen, die Skudders Sharks auf einigen altersschwachen Lastwagen zusammengepfercht hatten und die einem sehr ungewissen Schicksal entgegensahen. Charity bezweifelte nicht, daß Skudders Versprechen ernst gemeint gewesen war, ihr Leben zu schonen. Aber sie war nicht sicher, ob er sein Versprechen halten konnte. Sie verscheuchte den Gedanken und versuchte, durch die zerkratzte Windschutzscheibe hindurch mehr von ihrer Umgebung zu erkennen. Die Sonne stand wie ein lodernder Feuerball eine halbe Handbreit über dem Horizont und blendete sie, so daß sie kaum mehr als scharfe, schwarze Schatten wahrnehmen konnte, aber sie sah zumindest, daß das verbrannte Wüstenland in eine karge Steppe übergegangen war. Vor ihnen, vielleicht noch zwei, drei Meilen entfernt, erhob sich etwas, das wie die Silhouette einer Stadt aussah, Charity aber gleichzeitig irgendwie fremd vorkam. Viele der fünfzig Motorräder, die die Lastwagenkolonne eskortierten, war vorausgefahren, während der Rest von Skudders Streitmacher im Bunker zurückgeblieben war, um Jagd auf Überlebende zu machen, die sich in den labyrinthischen Gängen und Stollen von SS Nulleins verborgen haben mochten. Charity hoffte, daß wenigstens einige von ihnen entkommen konnten.
Die Sonne stieg rasch höher, und als sie näher kamen, erkannte Charity, daß das, was sie für eine Stadt gehalten hatte, in Wahrheit nur mehr die Ruinen einer Stadt waren. Der Anblick verwirrte Charity nur für einen Moment, ehe sie begriff, was er bedeutete. Sie dachte an das blauweiße Feuer, das vom Himmel gefallen war, kurz bevor sie den Bunker erreichte. Waren sechzig Jahre genug, die Strahlung auf ein erträgliches Maß zu dämpfen? Sie wußte es nicht. »Wir sind bald da«, sagte Raoul, dem ihre Unruhe nicht entgangen war. Er versuchte zu lächeln, war aber zu müde dazu. »Sind die Fesseln zu eng?« Charity blickte kurz auf ihre gefesselten Hand- und Fußgelenke und schüttelte den Kopf, antwortete aber nicht. Es war nicht das erste Mal, daß Skudders Stellvertreter ein Gespräch mit ihr anzufangen versuchte, aber bisher hatte sie nie reagiert. Sie mochte Raoul nicht, und diese Ablehnung ging weit über den instinktiven Widerwillen hinaus, den sie allen Sharks entgegenbrachte. Raoul war ihr unheimlich. Dabei behandelte er sie gut, und das Bedauern, mit dem er sie gefesselt hatte, schien echt zu sein. Der Shark setzte erneut dazu an, etwas zu sagen, zuckte dann aber nur mit den Schultern, als Charity demonstrativ den Kopf wandte und wieder aus dem Fenster sah. Sie wollte nicht mit Raoul reden. Weder mit ihm noch mit sonst irgend jemandem. Die Stadt kam jetzt rasch näher. Sie war von einer Bombe getroffen worden. Ruinen und Schuttberge bestimmten das Bild. Die Szenerie war mehr als unheimlich. Gelegentlich stach ein einzelner verrosteter Stahlträger wie ein Mahnmal in den Nachthimmel. Die Kolonne wurde langsamer und fuhr schließlich fast nur noch im Schrittempo, bis sie in einen Teil der verbrannten Stadt gelangten, der wenigstens den Anschein menschlichen Lebens erweckte - auch hier waren die meisten Häuser nur noch verbrannte Ruinen, aber die Autowracks und Trümmerberge waren fortgeschafft worden, und hier und da brannte ein Feuer hinter einer geschwärzten Fensterhöhle. Vor einigen Häusern standen Motorräder. Schließlich hielt Raoul an und öffnete die Tür, schaltete den Motor aber nicht aus. Charity sah, daß die anderen LKWs weiterfuhren. Raoul umkreiste den Wagen mit wenigen schnellen Schritten, öffnete die Tür an ihrer Seite und machte ein Zeichen, auszusteigen. Gleichzeitig wich er einen Schritt zurück und legte die Hand auf die Pistole, die in seinem Gürtel steckte. Wäre sie nicht zu müde dazu gewesen, hätte sie gelacht. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher