Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
dunkelsten Tage ihres Lebens zu überstehen.
Und jetzt war der Traum zurückgekehrt. Vielleicht lag es an der Vernissage heute Abend. Vielleicht hatte die Aussicht, Jims Bilder zu zeigen, den vertrauten Alptraum ausgelöst.
Dennoch, als Vanessa beobachtete, wie die Morgensonne schüchtern über den Horizont spähte, überlief sie ein eisiger Schauer.
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Wie Sie sehen, bieten die Wandschränke in den Schlafzimmern reichlich Stauraum«, sagte Vanessa zu Kate und Robert Worth.
Kate Worth runzelte die Stirn, wobei sich eine senkrechte Falte zwischen ihren perfekt gezupften Augenbrauen bildete. »Die Wandschränke sind ja ganz schön, aber ich hatte gehofft, dass das Elternschlafzimmer nach Westen rausgeht. Vielleicht sollten wir uns noch ein paar andere Häuser ansehen, bevor wir uns entscheiden. Können wir für morgen Mittag einen neuen Termin vereinbaren?«
»Natürlich, gern«, antwortete Vanessa, ohne sich ihre wachsende Ungeduld anmerken zu lassen. Während der letzten drei Wochen hatte sie den Worths bereits eine ganze Reihe von Immobilien gezeigt, die sich im vorgegebenen Preisrahmen bewegten, und sie hatte das Gefühl, Robert Worth wäre mit jedem der Häuser zufrieden gewesen. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau.
»Ich suche heute Abend ein paar neue Adressen für Sie heraus«, sagte Vanessa, während sie das Ehepaar zum Auto begleitete. »Sollen wir sagen um eins? Würde Ihnen das passen?«
Kate Worth wechselte einen Blick mit ihrem Mann, dann nickten beide. Kurz darauf fuhren sie los. Vanessa setzte sich in ihren Wagen und atmete tief durch.
Bisher war der Tag für sie nicht gerade erfolgreich verlaufen. Ein Kaufvertrag, von dem sie geglaubt hatte, er sei schon so gut wie unterschrieben, war im letzten Moment geplatzt, und die Unentschlossenheit des Ehepaars Worth zehrte allmählich an ihren Nerven. Kate Worth wollte eine Luxusvilla zum Schnäppchenpreis. Die schnippische, zu keinerlei Kompromissen bereite Blondine war der Alptraum eines jeden Immobilienmaklers.
Vanessa schaltete die Heizung ein, um die winterliche Kälte aus ihrem Auto zu vertreiben, fuhr rückwärts aus der Einfahrt und machte sich auf den Heimweg. Es war schon nach fünf, und bis zur Ausstellungseröffnung in Andre’s Gallery blieb ihr nicht mehr viel Zeit.
Sie sah dem Abend mit gemischten Gefühlen ent gegen. Einerseits war es eine Feier zu Jims Ehren, andererseits würde es, zumindest für sie, auch so etwas wie ein Abschied werden.
Zum Zeitpunkt seines Selbstmordes war Jim ein aufstrebender junger Künstler gewesen, dessen Ölgemälde in der Fachwelt zunehmend Beachtung fanden. Er hatte ein Atelier voller Bilder hinterlassen, doch es dauerte Monate, bevor Vanessa in der Lage war, sie sich anzusehen, geschweige denn systematisch zu sichten. Währenddessen meldeten sich diverse Galerien in regelmäßigen Abständen bei ihr, um sich einen Anteil an seiner Hinterlassenschaft zu sichern.
Andre Gallagher war der Erste gewesen, der an Jim geglaubt und seine Bilder ausgestellt hatte, damals, als alle anderen dem unbekannten Maler noch keine Chance geben wollten. Irgendwann entschied Vanessa, dass es so weit war, einen Teil der hinterlassenen Bilder zu verkaufen, und bot Andre zwölf Gemälde an. Er hatte keinen Moment gezögert, und heute Abend, um acht Uhr, wurde nun in seiner Galerie die Verkaufsausstellung feierlich eröffnet.
Vorher musste Vanessa jedoch noch das Abendessen machen, eine Liste mit Angeboten für die Worths zusammenstellen und dafür sorgen, dass Johnny und sie dem festlichen Anlass angemessen gekleidet waren.
Als sie in ihre Einfahrt bog, unterdrückte sie ein Gähnen. Nie hat man seine Ruhe, dachte sie, als sie neben Scott Warrens Auto parkte.
Vanessa fühlte sich, als hätte sie seit Jims Tod ständig unter Hochspannung gestanden. Er hatte sie ohne Lebensversicherung zurückgelassen, ohne irgendeine Form von finanzieller Absicherung. Vanessa hatte sich von einer Teilzeitrezeptionistin in einem Immobilienbüro zur Vollzeitmaklerin hochgearbeitet, um das Haus nicht zu verlieren und ihren Sohn und sich zu ernähren.
Das erste Jahr war ein Alptraum gewesen. Während sie noch mit ihrer Trauer, ihrer Wut und ihren Schuldgefühlen kämpfte, sah sie sich gezwungen, die Rolle der alleinerziehenden Mutter und Ernährerin der Familie zu übernehmen.
In den letzten sechs Monaten war das Leben allmählich etwas einfacher geworden. Der Schmerz ließ langsam nach, die Wut und die Schuldgefühle traten in den Hintergrund,
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