Dunkelkammer: Frank Wallerts erster Fall (German Edition)
auf eine Wette einlassen wollten, wer denn nun in diesem Jahr deutscher Meister werden würde, kam Sabine in das Büro wie eine Naturgewalt. Sie strahlte und wedelte mit einem Hefter, der wohl ihren Bericht enthielt.
„Hier, liebe Leute“, begann sie, „seht ihr das Ergebnis eines Sonntags. Und es ist ein tolles Ergebnis. Ihr werdet mich auf den Schultern um das Präsidium tragen wollen, ihr werdet mich herzen und küssen …“.
Sie hielt inne und schaute in die Runde, bevor sie fortfuhr. „Naja, das Letztere muss nicht sein, obwohl …“, ließ sie den Satz unvollendet und legte Frank mit einem vielsagenden Blick den Hefter auf den Schreibtisch.
Sabine fasste den Inhalt des Berichtes in seinen wesentlichen Bestandteilen kurz zusammen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, einen Kollegen – Single wie sie – aus dem Wochenende zu holen und mit ihm die Spuren aus dem Toyota zu untersuchen. Das Ergebnis war in mehreren Punkten bemerkenswert. Die verwertbaren Fingerabdrücke im Wagen stammten von elf verschiedenen Personen. Nur einer der Fingerabdrücke war bei der Polizei registriert: der von Jörg Klettner. Mordopfern wurden in der Gerichtsmedizin immer die Fingerabdrücke abgenommen. Die gleichen Abdrücke befanden sich – neben anderen – auf der leeren CD-Hülle. Damit war einwandfrei geklärt, dass der Anschlag auf Frau Siebert tatsächlich mit den Morden zu tun hatte und dass es überhaupt ein Anschlag war, war nun auch so gut wie sicher. Außerdem wurden Spermaspuren auf den Sitzen des Toyota gefunden.
Naja,
dachte Frank,
in welchem Wagen wurde nicht schonmal gebumst?
„Der Besitzer des Wagens ist ein gewisser Tobias Ritter, der in Essen-Kettwig einen kleinen PC-Shop betreibt. Der Toyota ist nicht als gestohlen gemeldet.“, berichtete Sabine abschließend.
Das war er auch heute Morgen noch nicht, was ein schnelles Telefonat ergab, das Rolf mit den Kollegen aus Essen führte.
***
Ina saß in dem Besprechungsraum und wartete bereits seit mehr als zehn Minuten. Der Lehrer, mit dem sie sich zum Gespräch verabredet hatte, war zum Vertretungsunterricht eingesetzt worden, so dass sie sich bis zur Pause gedulden musste. In etwa 5 Minuten würde es zur Pause schellen, und dann würde das Geschrei und Gebrüll Hunderter Schülerinnen und Schüler die Flure füllen. Erstaunlicherweise war es nicht so. Als es schellte, wurde es auf dem Flur vor dem Beratungsraum zwar lauter, aber von Lärm zu reden, wäre maßlos übertrieben gewesen. Nach weiteren zwei Minuten wurde die Tür geöffnet und ein junger Mann trat ein, der eine etwa fünfköpfige Gruppe von Kindern abzuschütteln versuchte, die ihn bestürmten. Ina konnte nicht hören, worum es ging; sie hörte nur ein bestimmtes „Nein!“ des jungen Lehrers, der vielleicht 30 Jahre alt war und außerordentlich attraktiv. Er schloss die Tür hinter sich und atmete durch, als sei es ihm in letzter Sekunde gelungen, ein Monster abzuschütteln, das ihn über den Flur gejagt und beinahe erwischt hatte. Mit ausgestreckter Hand und sympathisch lächelnd kam er auf den runden Tisch zu, an dem sie saß.
„Rainer Kirchhoff“, sagte er. „Sie sind Frau Gehnen?“
Ina stand auf und gab dem jungen Mann die Hand.
„Richtig. Guten Morgen, Herr Kirchhoff.“
Während sie ihn beim Eintreten in den Raum beobachtet hatte, kam ihr die Frage in den Sinn, wie denn diese Massen pubertierender Mädchen an dieser Schule ihn so sehen würden. Und wie würde er mit ihnen umgehen?Herr Kirchhoff hatte seine Tasche neben dem Schreibtisch abgestellt.
„Ich bin gleich soweit.“, sagte er zu ihr und griff zum Telefonhörer.
Schnelle Finger hat er
, dachte Ina, als sie hörte, wie er mit ihnen über die Nummerntasten glitt, um eine Telefonnummer zu wählen. Sofort rief sie sich innerlich zur Ordnung, lächelte aber vor sich hin. Als der junge Lehrer mit seinem Telefonat fertig war – es ging um einen Schüler, der fehlte, ohne dass er entschuldigt war – kam er zu Ina an den Tisch und setzte sich.
„Es tut mir Leid, dass Sie warten mussten!“
„Halb so schlimm“, erwiderte Ina. „Ich habe zufällig etwas Zeit.“
„Ja, zufällig“, sagte er. „Wenn Sie keine ‚zufällige’ Zeit hätten, könnte ich wieder wochenlang hinter Ihnen her telefonieren.“
Er wirkte ein wenig verärgert.
„Das ist nicht meine Schuld.“, meinte Ina, sich verteidigen zu müssen.
„Nein. Das meine ich auch nicht. Entschuldigen Sie, wenn das so geklungen hat. Unsere Organisation ist
Weitere Kostenlose Bücher