Dunkelziffer
Jahren völlig sauber.«
Lena Lindberg setzte eine schwer zu definierende Miene auf und sagte: »Sauber... Es gibt ja inzwischen ein ganz anderes Medium, wo man als Pädophiler ungleich schmutziger sein kann, ohne dass es bemerkt wird.«
»Das Internet«, nickte Sara. »Aber in den Pädophilen- N etzwerken, die in dem ganzen Dschungel bisher aufgedeckt worden sind, taucht keiner der drei Herren auf. Aufgedeckt ist aber bekanntlich nur ein Bruchteil. Manche Netzwerke verfügen immer noch über Methoden, die es ihnen ermöglichen, völlig ungestört im Netz zu arbeiten.«
Gunnar Nyberg betrachtete die beiden Frauen. Nach einem extrem hektischen Tag war es Balsam, sich auf dem Stuhl zurückzulehnen und den Blick im schwachen Licht auf diesen Schönheiten ruhen zu lassen. Da er inzwischen ein durchaus gesetzter Herr war, konnte er sich unter objektiven Kriterien weiblicher Schönheit nähern, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Und diese beiden waren wirklich zwei sehr unterschiedliche Schönheiten. Lena Lindbergs selbstbewusster und manchmal aggressiver Sex-Appeal hatte ihn nie so recht angesprochen. Aber im letzten Jahr war etwas geschehen. Als Gunnar Nyberg wieder einmal zu einem Ringkampf mit seinem Gewissen gezwungen worden war, schien Lena das Gleiche getan zu haben. Sie war nachdenklich und grüblerisch geworden, aber gleichzeitig viel weniger aggressiv. Wenn man sie allein überraschte, war da eine deutliche Falte zwischen ihren Brauen, die sie in den Augen des objektiven Beobachters viel attraktiver machte. Die Zeit war vorbei, da Sara Svenhagen in ständiger Sorge war, die Partnerin könnte Gewalt anwenden.
Sara ihrerseits war wie immer - das liebliche Geschöpf, das ihn einst, als die A-Gruppe vorübergehend aufgelöst worden war, mit behutsamer Hand in das grauenhafte Universum der Kinderpornografie eingeführt hatte. Auch sie hatte im letzten Jahr eine Veränderung durchgemacht. Nyberg ahnte, dass irgendetwas zwischen ihr und ihrem Mann, dem Kollegen Jorge Chavez, nicht ganz stimmte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass ihre Tochter Isabel zwei Jahre alt geworden war. Das war eine kritische Zeit für alle Eltern. Das Stillen und die lange Periode der Veränderungen des weiblichen Körpers war vorüber, und sie mussten sich entscheiden, ob sie das gleiche umwälzende Ereignis wirklich noch einmal erleben wollten.
Da Gunnar Nyberg spürte, dass er sich in seinen objektiven Betrachtungen zu verlieren drohte, raffte er sich zu einer Bemerkung auf: »Ganz instinktiv scheint ja Sten Larsson unser Mann zu sein. Strandbe rg ist schwul, und Robert Karls son macht einen recht infantilen Eindruck.«
»Obwohl Karlssons Thailandreisen nicht in das Bild passen«, antwortete Sara Svenhagen. »Und Strandberg ist derjenige, der Kidnapping und vermutlich einen Mord begangen hat.«
»Wir müssen eben die ganze Truppe zu fassen kriegen«, schloss Gunnar Nyberg und lehnte sich schwer auf dem wackligen Sprossenstuhl zurück.
Die Nacht machte eine Pause. Abend- und Morgendämmerung schienen zusammenzufallen, das schwache Leuchten des Himmels war eine seltsame Mischung von Licht, das entstand, und Licht, das erstarb; und es war schwer zu sagen, ob es Zeit war einzuschlafen oder aufzuwachen.
»Schlafen oder arbeiten?«, fragte Nyberg.
Lena Lindberg und Sara Svenhagen sahen sich an.
»Es ist Nacht, und sie ist vierzehn Jahre alt«, sagte Sara.
Damit war es entschieden.
»Außerdem haben wir noch über ein paar Balten nachzudenken«, sagte Lena Lindberg und schlug die Hände zusammen.
In dem Augenblick klingelte Sara Svenhagens Handy mit einem klaren Ton, der die unschlüssige Nacht durchdrang.
4
Der Mann betrachtete seine linke Hand, die auf dem Lenkrad lag. Kein kleiner Finger. Nicht als wäre er bei einem Unfall abgerissen worden, sondern als hätte es ihn nie gegeben. Die Schnittfläche war sehr, sehr exakt. Keine Narbe. Nur ein Fehlen.
Er sah sich die Hand mehrmals am Tag an. Sie war eine Erinnerung. Eine notwendige, dauerhafte Erinnerung.
Wie eine Schnur um einen Finger.
Die ein bisschen zu stramm gezogen wird.
Er hob den Blick von der Hand und schaute durch die Windschutzscheibe. Da draußen wimmelte es. Er hatte es schon so viele Male gesehen, dieses bunte Gewimmel von Vorschulkindern.
Es gab eine spezielle Form des Wartens. Es kann sich Stunde um Stunde in die Länge ziehen, doch das bedeutet nicht, dass man sich entspannen kann, nicht eine Sekunde. Denn wenn es geschieht, geschieht es
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