Dunkelziffer
Männer?«, fragte Lena Lindberg.
Sara setzte sich in dem dunklen Speisesaal auf den Tisch und hielt ein Papier in das schwache Licht einer Tischlampe. Die hinteren Teile des Raums lagen im Dunkeln. Vermutlich brach vor den Fenstern doch noch eine flüchtige Dämmerung herein. Die Balkontür stand offen und ließ Schwärme von Mücken und Schnaken herein. Das war der Preis, den sie für den kühlen, nach Wald duftenden Wind bezahlen mussten, der es überhaupt nur möglich machte, zu dieser späten Stunde zu denken.
Sara las und fasste gleic hzeitig zusammen: »Robert Karls son ist fünfundfünfzig, Maler, wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente. Wohnt dreißig Kilometer nördlich von hier in einem abgelegenen Haus, in das er vor zwölf Jahren fast eine ganze Schulklasse gelockt hat, ein Mädchen nach dem anderen, alle um die acht Jahre alt. Die Polizei - es gab damals eine lokale Polizeistelle - brachte das Kunststück fertig, ihn auf frischer Tat zu ertappen. Allerdings nicht in einer sexuellen Situation, zu eindeutig sexuellen Übergriffen ist es anscheinend gar nicht gekommen. Er wurde wegen Kindesentführung angeklagt, kam aber frei. Seitdem ist er mehrmals nach Thailand gereist, und es ist nicht ausgeschlossen, dass er einer unserer Thailand-Pädophilen ist. Beim Prozess gab es widersprüchliche psychologische Gutachten - die einen behaupteten, er sei ein kaltblütiger Vergewaltiger, die anderen, er stehe mental auf dem Niveau eines Neunjährigen. Eines Neunjährigen von damals, muss man hinzufügen. Er gab ohne Umschweife zu, mit den kleinen Mädchen >geschmust< zu haben. Was das bedeutet, weiß man bis heute nicht genau.«
»Und dieser Carl-Olof Strandberg müsste der Calle sein, der in einer Zeugenaussage erwähnt wird?«, sagte Nyberg.
»Höchstwahrscheinlich«, nickte Sara. »>Doch nicht Calle<, sagt einer von diesen Dorforiginalen zu einem anderen. >Wir angeln mit Calle.<«
»Genau«, fiel Lena Lindberg ein. »Natürlich. >Calle kann es nicht gewesen sein, er mag keine Mädchen.<«
»So muss man die Zeugenaussage wohl deuten«, sagte Sara. »Und das stimmt mit seinem Strafregister überein. Er ist erst vor Kurzem in ein Haus am Rand von Saltbacken gezogen. Von Kumla aus, genauer gesagt aus dem Bunker, wo er eine siebenjährige Haftstrafe wegen Vergewaltigung eines dreizehnjährigen Jungen abgesessen hat. Vielleicht erinnert ihr euch an den Fall, er hat ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Carl-Olof Strandberg, jetzt vierundsechzig Jahre alt, lebte damals in Stockholm, in Vasastan, als renommierter Kinderarzt und Kinderpsychiater. Mehrere Schulen arbeiteten mit ihm zusammen, weil er so gut mit Kindern umgehen konnte. Nahm sich der schwarzen Schafe an und machte sie zu Menschen, wie man in gewissen Kreisen zu sagen pflegt. Drei Jungen aus drei verschiedenen Schulen verschwanden, und die einzige Verbindung zwischen ihnen war Strandberg. Einem der Jungen gelang es, nach einer Woche zu fliehen, er war aber nicht mehr ansprechbar. Mithilfe von Faserspuren konnte man beweisen, dass er sich in dem isolierten Landhaus des Kinderarztes bei Strängnäs aufgehalten hatte. Man suchte das Grundstück und die nähere Umgebung ab, fand aber keine Spur von den beiden anderen Jungen. Und der Überlebende war körperlich und seelisch derart verletzt, dass er vermutlich nie wieder ein Wort sagen wird. Strandberg weiß, wie man Kinderseelen blockiert. Ein wahres Scheusal, so scheint es. Es gab eine Menge anderer verdächtiger Fälle, aber keiner ließ sich ihm zuordnen. Er ging für die eine Vergewaltigung in den Knast, für nichts anderes. In Kumla hat er die ganze Zeit seine Unschuld beteuert und behauptet, ein Kollege, mit dem er zerstritten war, habe ihn dorthin gebracht.«
»All diese Unschuldigen in unseren Gefängnissen«, sagte Gunnar Nyberg.
»Und schließlich Sten Larsson«, fuhr Sara Svenhagen fort, ohne den lästigen Nyberg eines Blickes zu würdigen. »Ein Mann mit einem anderen Hintergrund. Wie Robert Karlsson eine lokale Größe - sie sind also nicht hierhergezogen, sondern in der Gegend aufgewachsen -, aber ein etwas größerer Verbrecher, wenn es denn Abstufungen in der Hölle gibt.
War der doppelten Vergewaltigung von zwei Teenagern aus der Gegend schuldig. Er saß eine fünfjährige Gefängnisstrafe in Härnösand ab, einer Anstalt zweiter Klasse, kehrte dann nach Hause zurück und nahm seine Arbeit als Tischler wieder auf. Er ist achtunddreißig Jahre alt und allen Dokumenten zufolge seit mindestens zehn
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