Dunkelziffer
Ottosson starrten ihn wie gelähmt an. Sara und Lena waren aufgestanden und halfen Strandberg wieder auf seinen Stuhl. Dann kehrten auch sie auf ihre Plätze zurück.
»Spuren?«, sagte Sara Svenhagen milde.
»Spuren, die zu mir führen«, sagte Strandberg lahm. »Aber ich habe seit zwanzig Jahren keinen Finger gegen einen Menschen erhoben. Und Sten auch nicht. Wir schauen uns Bilder an und begnügen uns damit. Gibt es Bilder von Jungen im Netz, schickt er sie mir und umgekehrt.«
»Wenn Sie Bilder von Mädchen finden, schicken Sie sie an ihn?«
»Ja. Das ist alles. Aber ich will lieber sterben, als wieder ins Gefängnis zu gehen. Das ist ja auch ein Verbrechen, Besitz von Kinderpornografie. Mir war klar, dass ich das verhindern musste.«
»Um jeden Preis«, nickte Nyberg. »Sie haben also wirklich keine Ahnung, wo Sten und Emily sind?«
»Ich glaube nicht einmal, dass Sten sie geschnappt hat. Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Sie müssen mir glauben.«
Polizeiblicke wurden ausgetauscht, darunter zwei immer noch versteinerte. Aber die übrigen drei schienen einhellig.
Strandberg wusste wirklich nichts von den Ereignissen im Wald bei Saltbacken.
»Wie weit reicht das Netzwerk?«, fragte Sara Svenhagen schließlich.
»Wir sind ein paar Leute, die Bilder austauschen, das ist alles.«
»Sind Balten dabei? Litauer?«
»Keine Ahnung«, sagte Strandberg kleinlaut. »Es gibt nur Decknamen. Erfundene Signaturen. Der Einzige, den ich kenne, ist Sten.«
Sie ließen ihn in die Arrestzelle zurückkehren. Er war jetzt ein anderer. Der Verband um den Kopf war verrutscht, und er sah zwanzig Jahre älter aus.
Kommissar Alf Bengtsson wandte sich an Gunnar Nyberg und fragte heiser: »Geht das immer so zu?«
»Wie war das doch gleich?«, sagte Nyberg und klopfte einen Papierstapel zurecht. »Manchmal sind enorme Kräfte vonnöten, wenn der Mensch sich über seine selbst auferlegten Begrenzungen erheben will.«
»Jedenfalls haben wir die Bestätigung, dass die Handynummer die von Sten Larsson ist«, sagte Sara Svenhagen. »Also sind es drei Gesprächslisten, die schnellstmöglich beschafft werden müssen: die von Emily und die von Larsson und Strandberg. Lena, übernimmst du das?«
Lena Lindberg nickte. Es war, als hätte sie die Fähigkeit zu sprechen völlig verloren.
»Und ihr bekommt also keine Antwort, wenn ihr Sten Larssons Handynummer wählt?«, sagte Bengtsson.
»Nein«, sagte Nyberg. »Keine Antwort und keine Mailbox. Aber wir müssen es weiter versuchen. Es ist jedenfalls nicht abgeschaltet.«
»Nehmen wir an, Strandberg sagt die Wahrheit«, fuhr Svenhagen fort. »Larsson handelt aus eigenem Antrieb. Wenn wir davon ausgehen, dass der Fleecepulli der von Larsson war, dann war er im Wald, als die Suche gestartet wurde.
Er bewegte sich nach Norden - zuerst gesehen von Julia Johnssons Gruppe, dann von der von Jesper Gavlin -, auf die Stelle zu, wo Jesper schon ein Stück von Emilys Jacke gefunden hatte. Dann lief sie also vorweg und Larsson hinter ihr her. Aber ziemlich weit hinter ihr, fast eine Viertelstunde. Was bedeutet das?«
»Dass wir noch einmal in den Wald müssen«, sagte Lena Lindberg leise.
12
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass jedes Mal, wenn ein Mensch an einen anderen denkt, Spuren entstehen. Diese Spuren sollte eine sensible Seele in genügend weitem Abstand wahrnehmen können. Es heißt, dass die Spuren unterschiedlich aussehen - je nachdem, ob es ein negativer oder positiver Gedanke ist. Und dass sie einen besonderen Glanz bekommen, wenn zwei Menschen gleichzeitig aneinander denke n . Aus stratosphärischer Höhe würde eine solche Seele den Erdball wahrnehmen, als wäre er von einer changierenden Hülle umschlossen, einem feinmaschigen Gewebe aus bunten Fäden, die von Zeit zu Zeit aufblitzen. Es soll ein faszinierendes Schauspiel sein.
Aber die Theorie besagt auch, dass unmittelbar unter dieser Hülle eine zweite existiert. Das sind die Spuren der tatsächlichen Kontakte zwischen den Menschen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Hüllen soll so groß sein, dass keine sensible Seele ihn überleben kann.
Deshalb kann es nie einen Menschen geben, der in der Lage wäre, von diesem Schauspiel zu berichten. Und die Theorie bleibt eine Theorie.
Außerdem würde die arme Seele sich nicht in stratosphärischer Höhe aufzuhalten brauchen. Es würde durchaus genügen, wenn sie beispielsweise auf dem Dach des Polizeipräsidiums in Stockholm wäre.
Paul Hjelms Aufgabe war es,
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