Dunkelziffer
haben. Ihr seid unterschiedliche Typen von Pädophilen? Ihr erzählt euch viel über Präferenzen und Begierden? Und wo wird sich das wohl abspielen, wenn es stimmt, dass ihr euch nur einige Male im Jahr seht? Kann es sein, dass es im Internet geschieht, mit Massen von Beweisen auf einer verschwundenen beziehungsweise zerstörten Festplatte?«
Strandberg verzog das Gesicht. Dann sagte er: »Sie verstehen mich falsch. Ich habe ein professionelles Urteil abgegeben. Alles, was ich sage, wird gegen mich verwendet. Ich muss lernen, den Mund zu halten.«
Sara Svenhagen hatte das Verhör bisher, wie verabredet, allein geführt. Aber ein Blick zu Gunnar Nyberg gab ihm zu verstehen, dass er jetzt eingreifen konnte. Er sagte: »Sie verstehen sicher, Herr Strandberg, dass wir davon ausgehen, dass Sie die Spuren eines Pädophilennetzwerks vernichten wollten.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, brummte Strandberg stur.
»Ich glaube, Sie halten uns für mittelmäßige Streifenpolizisten, aber ich und Sara Svenhagen - vor allem Sara - haben uns ziemlich intensiv mit Verbrechen befasst, die mit Kinderpornografie zu tun haben. Wir kennen euch.«
»Das ist das Interessante an dieser Sache«, sagte Sara Svenhagen mit einem Blick auf Nyberg. »Die Tatsache, dass Sie und Sten Larsson - ein Pädophiler, der Jungs, und einer, der Mädchen bevorzugt - über das Netz Kontakt zueinander hatten, deutet auf einen größeren Zusammenhang hin. Sonst hättet ihr einander ja nicht besonders viel zu sagen.«
»Ganz zu schweigen davon, wie unergiebig der Austausch von Bildern gewesen wäre«, sagte Nyberg. »Inkompatible Fotos.«
Strandberg schwieg und starrte auf den Tisch. »Eine Sache ist mir aufgefallen«, sagte Sara langsam. »Wir müssen natürlich abwarten, was bei der Untersuchung von Sten Larssons Festplatte herauskommt, aber es scheint, dass Sie, seit Sie aus dem Gefängnis heraus sind, keine aktiven Übergriffe mehr begangen haben. Wenn Sie nicht darauf bestanden hätten, Ihre Unschuld zu beteuern, hätten Sie jetzt doch ein relativ versöhntes Leben führen können. Anstatt von innen her von einem unbestimmten und irregeleiteten Hass zerfressen zu werden. Wäre es nicht besser gewesen, der Polizei zu zeigen, wo Sie die beiden Jungen begraben haben? Und ihr zu erzählen, was Sie mit ihnen gemacht haben? Sie sind jetzt alt, Strandberg, wollen Sie wirklich ganz unversöhnt sterben?«
Strandberg schüttelte müde den Kopf. Er sah jetzt erledigt aus, völlig erledigt.
Gunnar Nyberg sagte: »Wenn Sie uns sagen, wohin Sten Larsson Emily Flodberg gebracht hat, ist schon vieles gesühnt.«
Carl-Olof Strandberg sah jetzt sehr alt aus. Aber als er zu Sara und Gunnar aufsah, war sein Blick erfüllt von zäher, überzeugter Widerstandskraft. »Sie sind die Hüter der Normalität«, sagte er. »Sie setzen voraus, dass die Sexualität ein bestimmtes Aussehen haben muss, ein kontrolliertes Aussehen. Alles andere ist krank, pervers, ungesetzlich. Aber Ihre Vorstellung von Sexualität ist eine kulturelle Konstruktion des neunzehnten Jahrhunderts. Plötzlich, nach Jahrtausenden menschlicher Entwicklung, wird festgesetzt, dass erwachsene heterosexuelle sogenannte Liebe die Norm und Normalität ist - und heute sehen wir ja, wie gut diese >Liebe< funktioniert. Ehen zerbrechen am laufenden Band. Die Liebe hat ihre im neunzehnten Jahrhundert definierte Rolle ausgespielt. Plötzlich wurde bestimmt, dass Sexualität und Pubertät zusammenhängen - dass es Sexualität vor der Pubertät nicht geben darf. In fast allen früheren Gesellschaften war Mädchen- und Knabenliebe die selbstverständliche Einweihung in die Sexualität. Jetzt lässt man die Kinder allein mit ihrer Verwirrung, ohne irgendeine hilfreiche Hand vor dem entscheidenden Schritt.«
»Sie sind völlig wahnsinnig«, zischte Sara Svenhagen. »Die Kinder bitten weiß Gott nicht um Hilfe. Ihr seid es, die sie als reine Objekte sehen, als Gegenstände, mit denen man tun kann, was man will.«
Ohne eine Miene zu verziehen, fuhr Strandberg dort fort, wo er aufgehört hatte: »Es war fundamental, dass die Sprengkraft der Sexualität, als wir uns im neunzehnten Jahrhundert in die Richtung eisern kontrollierter Gesellschaften entwickelten, in Schach gehalten wurde. Die Obrigkeit erfand eine Normalität und schuf die sexuelle Scham. Eine effektivere Kontrollmethode ist nie entwickelt worden. Die Sexualität auf eine Handlung unter anderen reduzieren, auf etwas, was ab und zu einfach getan werden
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