Dunkle Begierde 2
schaute in die Luft und atmete tief ein und aus.
„Hörst du
diese Musik Kathrin, kannst du sie hören?“, sagte er mehr zu sich als zu ihr.
Kathrin hörte natürlich nichts, weil da nichts war. Aber Thomas war sich
sicher, dass aus der kleinen Insel, die in der Mitte auf dem kleinen Teich lag,
dass aus dieser Insel Musik kam.
Es war
„The End“, von den Doors.
Eines von
Thomas Lieblingsliedern, natürlich nach den Beatles. Die fand er am
allerbesten. Er war ein leidenschaftlicher Plattensammler. Von den Beatles
hatte er fast alles, was auf den Markt kam, auch wenn sein Vater diese
Leidenschaft nicht verstand und Thomas öfters Prügel bezog, weil er zu laut
Musik hörte, behielt er diese Leidenschaft. Denn eines verband ihn seiner
Meinung nach mit diesen Gruppen: Sie kamen wie er aus einfachen Verhältnissen
und hatten den Traum, dass es ihnen einmal besser gehen würde. Und in ihnen sah
er, dass man nicht seinem Schicksal erlegen war. In seinem Fall, für immer ein
einfacher Bauer sein zu müssen. Irgendwann, dessen war er sich sicher, würde er
andere für sich arbeiten lassen. Irgendwann würden andere auf sein Wort hören,
und die Zeit der Knechtschaft und des schlichten Lebens würde vorbei sein. Doch
im Gegensatz zu seinen Idolen würde er nicht sein Leben verschwenden und sich
umbringen, wenn er erfolgreich werden würde. Er würde es genießen und
aufpassen, dass ihm niemand seinen Wohlstand wegnahm.
Mit dem
Song „The End“ von den Doors konnte er sich zurzeit am besten identifizieren.
Vor allem
eine Passage, die lautete:
„Father.“
„Yes son.” „I want to kill you.“
Wie oft
hatte Thomas im Traum seinen Vater getötet - einmal mit einem Messer, ein
anderes Mal mit der Mistgabel. Und wieder ein anderes Mal mit Gift. Er wusste,
wie man aus ein paar wenigen Pflanzen Gift mischen konnte, das tödlich wirkte,
ohne eine Spur zu hinterlassen. Er war sehr wissensbegierig und lesefreudig.
Die Mitarbeiter in der Bibliothek in Bad Schwartau und Lübeck kannten ihn sehr
gut und bewunderten seine Lernfreude, doch von seinen dunklen Gedanken wussten
sie nichts.
So ein
süßer Junge und dunkle Gedanken…tss tss…
Wäre die
Angst seinem Vater gegenüber nicht so groß, hätte dieser schon längst das Zeitliche
gesegnet.
Doch
jetzt musste er mit Kathrin fertig werden.
„Kannst
du es denn nicht hören? Hör genau hin, du dummes Kind. Kannst du nicht die
Doors hören?", sagte Thomas und begann das Lied zu singen.
„This
is the end, beautiful friend. This is the end, my only friend …” Thomas traf keinen
einzigen Ton, seine Stimme klang schrecklich und bedrohlich.
Kathrin
bekam es langsam mit der Angst zu tun.
„Thomas,
was ist los mit dir? Du tust mir weh. Ich habe Angst. Lass uns nach Hause
gehen", sagte sie ängstlich und schon fast um Gnade winselnd.
„Wir
können nicht Hause, Kleines. Und du müsstest doch am besten wissen, warum.“
„Ich will
nach Hause. Hör auf mir wehzutun, oder ich sage das Papa“, schrie Kathrin unter
Schmerzen, denn Thomas hatte ihren rechten Oberarm so stark im Griff, das
dieser begann blau anzulaufen. Sie erkannte ihn nicht wieder.
„Papa,
ich sage das Papa. Du ungezogene Göre. Ich wusste, dass ich dir nicht vertrauen
kann. Du hinterhältiges Biest.“
Thomas
drückte ihren Arm noch fester zu.
Sie schrie,
doch niemand hörte die Schreie der Verzweiflung, die Schreie, die nicht
verstanden, was hier passierte.
Nicht
verstehen und nicht glauben wollten, dass ihr liebster Thomas ihr wehtat und
ihr Angst machte. Warum tat er das? Sie liebte ihn doch. Was hatte sie
verbrochen? Die kleine süße Kathrin mit dem Stupsnäschen, den unschuldigen
liebevollen blauen Augen und dem süßesten Lächeln, die bis jetzt nicht wusste,
was es hieß, Schmerz zu erfahren, da alle Welt sie liebte, erfuhr nun, was es
heißt, wirkliche Angst zu haben, was es hieß, wenn an einem körperliche und
seelische Gewalt ausgeübt wurde. Selbst in ihren Träumen hatte sie nie Gewalt
erfahren. Doch was sie heute erlebte war schlimmer als alles, was sie in ihrer
Vorstellungskraft für möglich gehalten hätte, denn ihr Peiniger war kein
geringerer als ihr über alles geliebter Bruder.
„Aua,
Thomas. Thomas - lass mich bitte los. Ich habe Angst", sagte sie
verzweifelt und in Tränen ausbrechend.
„Ja,
Angst - haben wir nicht alle Angst. Angst ist es, die uns zu Erwachsenen macht.
Und es wird Zeit, dass auch du erwachsen wirst“, antwortete Thomas
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