Dunkle Burg
können es gar nicht.«
Aber ich weinte und barg den Kopf an ihrer Schulter und sie hielt mich und schaukelte mich hin und her und wir saßen zusammen in dem trübe erhellten, stillen Raum.
Lange danach, so kam es mir vor, wurde die äußere Tür geöffnet. Geklopft wurde nicht. Das ist bei den Unterirdischen nicht üblich, aus irgendeinem Grund. Ein Gesicht schaute herein, und als Arienne eine leichte Bewegung machte, kam der Unterirdische. Ein weiterer folgte, und ich sperrte die Augen auf.
Der Zweite war kleiner und schmächtiger und trug mehr Kleider. Aber nicht genug, um die Weiblichkeit zu verbergen. Sie war die erste weibliche Unterirdische, die ich bis dahin gesehen hatte. Deshalb glotzte ich. Vor allem aber starrte ich auf das Bündel, das sie trug.
Sie war aufgeregt. Die Gesichter der Unterirdischen zeigen kaum Gemütsbewegungen, nicht einmal, wenn sie lachen oder… weinen? Weinte sie? War dieses Beben der Mundwinkel und das Verengen der Augen das Gleiche wie meine Tränen?
Der Erste starrte Arienne an, und Arienne machte ein besorgtes Gesicht. Eine weitere leichte Geste, und die andere kam näher und legte Arienne das Bündel in den Schoß.
Es war ein Säugling. Ein schlafender Säugling. Aber Ariennes Miene hellte sich nicht auf. Ihr Blick wurde geistesabwesend, als sähe sie über das Hier und Jetzt hinaus. Sie runzelte die Brauen. Sie richtete den Blick auf die anderen zwei und nickte kaum merklich. Dann neigte sie den Kopf über den Säugling und starrte darauf.
Es war ein ruhiger Säugling, sehr ruhig. Und dann, wenn man ihn genauer betrachtete, wurde einem plötzlich klar, dass etwas nicht stimmte. Er atmete nicht so oft, wie er sollte. Und seine Hautfarbe war anders. Die Unterirdischen haben eine Haut wie rotes Leder, dick und faltig, aber dieses Kind war beinahe purpurblau, am stärksten um die Lippen und Ohren. Sicherlich sollte ein Säugling von hellerer Hautfarbe sein, dachte ich bei mir.
Ich blickte Arienne fragend an, aber sie beachtete mich nicht. Trotzdem sprach sie: »Es ist ein Loch in ihrem Herzen. Die Kleine wird daran sterben, wenn nichts geschieht.« Sie starrte auf das Kind, und ihr Gesicht wirkte jetzt ausdruckslos wie Schnee.
»Was können Sie schon tun…«
Sie antwortete nicht. Saß bloß da mit dem Säugling in den Armen, und im Raum wurde es ruhig und still wie zuvor.
Hatte Teska nicht gesagt, ich könne Körper und Geist von Tieren, aber auch von Kobolden verändern? Ich holte Atem, öffnete den Mund, um zu sprechen und schloss ihn wieder. Arienne war weit weg.
Die Stille dauerte an. Ariennes Gesicht blieb unverändert bis auf flüchtige Schatten, die wie Wolken vor der Sonne darüber hinzogen. Sie starrte den Säugling an – und ich starrte im fahlen Licht sie an. Dabei schien es lange zu bleiben, obwohl ich keine Vorstellung habe, wie viel Zeit wirklich verging. Plötzlich holte Arienne hörbar Atem und hielt ihn an, bevor sie ihn ausströmen ließ. Dann ließ sie die Schultern hängen und schloss die Augen, und ein Ausdruck wie von Erschöpfung und Erleichterung kam in ihre Züge.
Der Säugling lief rosig an, ruderte mit den Ärmchen und schrie. Das dünne Gewinsel durchschnitt die Stille wie die erste Tempelglocke am Morgen des Tages der Wintersonnenwende.
Arienne beugte sich über das Kind, küsste es und gab es seiner Mutter zurück. Die Frau – ja, sie war eine Frau, wie der andere ein Mann war – nahm es entgegen, hielt es mit einem Arm, während es weiterschrie, und ergriff Ariennes Hand. Ihr Gesicht zeigte keinen Ausdruck, den ich deuten konnte. Sie starrte Arienne ins Gesicht, und für einen Augenblick, als sie einander anstarrten, konnte ich verstehen, was sie sagte, ohne in ihr Bewusstsein einzudringen. Ohne es zu verletzen.
Es dauerte nur ein paar Augenblicke. Arienne nickte knapp, zeigte ein winziges Lächeln, ohne den Mund zu öffnen. Dann zogen die beiden anderen sich durch die offene Tür hinter ihnen zurück, und der Mann verbeugte sich, bevor er sie leise schloss und uns allein ließ.
Es blieb still. Ich sah Arienne an – und sie die Wand. Ich musste mehrere Anläufe nehmen, bevor ich sprechen konnte. »Sie sagten mir nie, dass Sie auch das Talent haben.«
Sie schüttelte sich. Auch für sie schien das Sprechen eine Anstrengung zu sein. »Es ergab sich nie.«
»Seien Sie nicht – ah – unaufrichtig.«
Sie machte eine matte Geste. »Ich wollte nicht, dass du es weißt.«
Ich nickte und verstand. »Sie hätten mich daran hindern
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