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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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an der Art, wie er sich hielt und dabei alle überragte, die Augen stets prüfend zum Horizont gerichtet, die Fäuste auf die Hüften gestützt. Ob er Uniform und Bärenfellmütze trug oder nicht, spielte gar keine Rolle.
    Ed rührte in seinem Tee und aß ein Gebäckstück. Der Tee hatte den bitteren Tanningeschmack einer schlecht gespülten Kanne, und das Gebäck schmeckte alt. Manche Dinge änderten sich nie, dachte Ed resigniert und erinnerte sich an seine eigene Studienzeit vor über zwanzig Jahren. Er hatte die dunkelblaue Krawatte von Oxford getragen, nicht die hellblaue von Cambridge, aber das lockere Studentenleben war nichts für ihn gewesen. Das praxisferne Büffeln hatte ihn wahnsinnig gemacht, weil er viel lieber raus in die Welt und dort Spuren hinterlassen wollte. Er hatte seine ganze Energie ins Rudern und Rugbyspielen gesteckt. Auf der Strecke geblieben waren dabei Latein und Griechisch.
    Trotzdem bewegte er sich in dieser Umgebung sicher genug, um selbst an den eifrigsten Pförtnern unbemerkt vorbeizukommen. Man musste nur so aussehen, als gehörte man dazu, und das fiel ihm nicht schwer. Er hatte sich sogar bei Ryder & Amies ein spießiges Tweedjackett besorgt und dazu eine grüne Cordhose und braune Halbschuhe angezogen. Eine eselsohrige Ausgabe von Ulysses , die aus seiner Jackentasche lugte, vervollständigte das Gelehrtenkostüm.
    Sir Clive hatte ihm ein Foto von Jack auf sein Handy geschickt. Das Bild war zu Beginn des Medikamententests gemacht worden. Sie hatten ihm eine ganze Reihe von Varianten erstellt, mit und ohne Bart, mit rasiertem Schädel. Ed hatte eine ziemlich präzise Vorstellung von dem Gesicht, das er suchte. Später würde er den Standort wechseln und in die College Bar oder zum Pförtnerhäuschen umziehen. Für den Augenblick aber war er damit zufrieden, die Straße vor dem King’s College zu beobachten und nach etwas Ungewöhnlichem Ausschau zu halten.
    Geraume Zeit später fiel ihm tatsächlich etwas auf, mitten unter den Studenten, ein blonder Haarschopf, der sich gegen den Strom bewegte. Eine junge Frau, die rannte, während alle anderen gingen, und sich ungeduldig durch eine Gruppe japanischer Touristen drängte. Es gab keinen Grund, sie zu verdächtigen oder ihr zu folgen, und doch stimmte irgendetwas mit ihr nicht. Sie wollte in das College hinein, während alle anderen herauskamen, und der Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht war ein wenig zu angespannt. Das musste nichts bedeuten, vielleicht bedeutete es aber doch etwas. Und in diesem Geschäft hörte man besser auf seinen Instinkt. Er betrachtete noch einmal das Foto von Jack und holte sein Handy aus der Tasche.
    »Sir Clive, hier ist Ed. Wissen wir, ob unser Mann eine Freundin hat?« Der Blondschopf näherte sich dem King’s College. Sir Clive bellte jemandem im Hintergrund einen Befehl zu.
    »Mary macht eine schnelle Recherche, soziale Netzwerke, Internetforen und so weiter. Hat ganz schön viele Fotos im Netz. Sieht so aus, als wäre er bei den Damen ziemlich beliebt.«
    »Ich suche eine große, schlanke Blondine. Lana-Turner-Typ.«
    »Tun wir das nicht alle?«, bemerkte Sir Clive wie zu sich selbst und fügte dann laut hinzu: »Fotos sind unterwegs.«
    »Danke.« Ed stand vom Tisch auf und ließ das angebissene Gebäckstück zurück. Die junge Frau durchschritt das Tor zum College. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Wenn sie in eines der Gebäude am First Court verschwand, wäre er nicht schlauer als zuvor.
    Er überquerte die Kopfsteinpflasterstraße, passierte das eindrucksvolle Sandsteintor und bahnte sich einen Weg zwischen den Studenten hindurch, die nervös an ihren selbstgedrehten Zigaretten zogen. Ein schneller Blick auf die Fotos auf seinem Display. Partyszenen. Jack, der seinen Arm selbstbewusst um diverse Mädchen gelegt hatte. Dann die Blonde von der Straße und ein ganz neuer, nervöser Ausdruck in Jacks Augen. Jemand hatte sie unbemerkt beim Händchenhalten geknipst.
    Inzwischen hatte die hübsche Blondine die andere Seite des First Court erreicht und eilte im Laufschritt über den Steinweg auf den Fluss zu. Ed beschloss, sämtliche Verbotsschilder zu ignorieren und quer über den Rasen zu gehen. Zu seiner Zeit in Oxford war es nur langjährigen Mitgliedern des Lehrkörpers und hochrangigen Besuchern erlaubt gewesen, den peinlich gepflegten Collegerasen zu betreten. Egal, dachte er, solange man seine Rolle glaubwürdig verkörperte, kam man mit allem durch.
    Trotzdem war die junge Frau verschwunden,

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