Dunkle Ernte
gegenüberliegenden Straßenseite hielt. Ihm fiel auch nicht auf, dass niemand ausstieg und dass der Wagen scheinbar zufällig an der Stelle stand, von der aus man die Straße am besten überblicken konnte. Er war viel zu beschäftigt damit, seine neuen Nachrichten zu lesen und das Haus im Auge zu behalten.
Aber auch erfahrene Agenten machten manchmal Fehler.
8
»Jack, wo bist du? Wie geht’s dir?«, rief Amanda die Treppe hinauf und warf ihren Schlüssel auf den Tisch im Flur.
»Hier … ich bin hier drin«, erwiderte er mit hohl klingender Stimme, unterbrochen von heftigem Würgen.
Amanda riss die Tür auf und sah ihn gekrümmt über der Toilettenschüssel kauern. »Mein Gott, Jack, was ist los?«
»Mir ging’s schon besser, Amanda«, brachte er heraus und hievte sich mühsam auf die Beine. Er lehnte sich an das Waschbecken, atmete tief durch und spülte sein halb verdautes Frühstück in die Kanalisation. Amanda sah besorgt aus. »Ich weiß, ich zeige mich gerade nicht von meiner besten Seite, aber so entsetzt musst du jetzt auch nicht dreinschauen«, scherzte er. Im Zweifelsfall half immer ein dummer Witz.
Amanda lachte. »Ich bin nicht entsetzt, nur besorgt, weil du offenbar noch keine feste Nahrung verträgst. Du hast drei Wochen lang am Tropf gehangen. Daran hätte ich denken sollen. Komm her.« Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn, fühlte seinen Puls und sah ihm prüfend in die Augen. Seine blasse Haut hatte einen gräulichen Ton angenommen. In Verbindung mit dem Bart sah er aus wie ein Zuchthäusler aus dem achtzehnten Jahrhundert. Irgendwie erschütternd, aber nicht unattraktiv, fand sie.
»Ich habe meine Freundin im Krankenhaus angerufen«, fuhr sie fort. »Im Forschungslabor steht ein alter Röntgen-Apparat. Vielleicht finden wir heraus, was das ist, was du in dir hast. Und ob es eine Möglichkeit gibt, es zu entfernen.« Sie bewegte Zeige-und Mittelfinger wie eine Schere.
Jack zuckte zusammen. Amanda war vielleicht eine hervorragende angehende Chirurgin, aber im Umgang mit dem Patienten hatte sie eindeutig noch gewisse Defizite.
Amanda hatte ihn untersucht, ehe sie losgegangen war, um etwas zum Anziehen für ihn zu holen. Auf der Suche nach irgendetwas, das da nicht hingehörte, hatte sie seinen Bauch abgetastet und durch die Haut seine Eingeweide gespürt. Sie hatte den Klumpen recht schnell gefunden; er fühlte sich an wie ein Tumor, nur weicher. Von außen war er nicht zu sehen, aber sie hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo er sich befand. Sie hatte nach Kräften versucht, ihre Zweifel zu verbergen, als er ihr erzählt hatte, was er bei Marcon Pharmaceuticals hatte zu Boden fallen sehen. Insgeheim nahm sie an, dass die Medikamente und die nervenaufreibenden Ereignisse seine Wahrnehmung getrübt hatten. Dennoch deutete einiges darauf hin, dass da offenbar eine Art biomechanisches Implantat getestet wurde.
»Geh duschen«, ordnete sie an. »In der Zwischenzeit mach ich dir was zu trinken, damit du wieder auf die Beine kommst.«
Er nickte. Es war erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie für ihn sorgte, und ebenso erstaunlich, dass ihm das in dieser Situation nichts auszumachen schien. Unter anderen Umständen hätte er schon längst das Weite gesucht.
Er duschte rasch und ging dann nach oben in ihr Zimmer. Das Rasieren hatte er sich gespart, denn er wollte so schnell wie möglich zu Amandas Kollegin, sich röntgen lassen, sehen, was in ihm war, und es möglichst sofort loswerden.
»Was für Klamotten hast du mir mitgebracht?«, fragte er und öffnete die Tür.
»Ein paar Sachen aus deinem Schrank. Ist alles dort im Koffer. Hier, trink das.«
Er nahm das Glas, das sie ihm reichte. Es schmeckte wie Wasser mit Salz und Zucker. Eklig. »Was ist das?«, fragte er und verzog das Gesicht.
»Glukose, Wasser, ein bisschen Salz und Zucker. Stell dich nicht an und trink.«
»Schon gut, schon gut. Bist du immer so streng mit deinen Patienten?«
»Nur, wenn sie nicht brav sind«, erwiderte sie. »Und wenn ich, Mr. Hartman, Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen darf: Sie waren ein sehr böser Junge.« Sie lächelte unschuldig und zog die Vorhänge zu.
Jack verstand die Andeutung sofort. Trotz seiner Müdigkeit war er immer noch ein Mann in voller Blüte und Amanda ein unglaublich verlockendes Angebot. Im Nu lagen ihre Kleider auf dem Boden verstreut, und das weiche Licht, das von draußen hereindrang, fiel auf ihre kecken Brüste und ihre schmale Taille.
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