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Dunkle Flut

Dunkle Flut

Titel: Dunkle Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul S. Kemp
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sehr unterschiedliche Leben geführt und sehr unterschiedliche Entscheidungen getroffen.
    Leute waren keine Gleichungen. Nein, Leute waren Entscheidungen.
    Aber in welchem Maße schränkte die Biologie ihre Entscheidungsfreiheit ein? Rein theoretisch hätte Soldat sich jederzeit von der Dunklen Seite abwenden können. Doch zerschellte die Theorie nicht auf den Felsen der Realität? Wurde Soldats Entscheidungsfreiheit nicht durch seine Gene eingeschränkt, zumindest bis zu einem gewissen Grad? Und galt das nicht genauso für Jaden?
    Er rasierte sich zu Ende, wischte den restlichen Schaum fort und betrachtete sich selbst im Spiegel. Irgendetwas wirkte verkehrt. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, was – die kleine Narbe, die er seit seiner Jugend auf der rechten Wange hatte, war verschwunden. Er hatte sich an einem von Onkel Orns Werkzeugen geschnitten, und die Wunde war nicht richtig verheilt.
    »Wie ist das möglich?«, murmelte er. Er hielt sein Gesicht dicht vor den Spiegel und fragte sich, ob sie möglicherweise einfach verblasst war, aber nein, er konnte sie dort überhaupt nicht mehr entdecken. Er starrte sein Bild im Spiegel lange Zeit an.
    In seinem Geiste begannen unbehagliche Möglichkeiten herumzuschwirren. Er versuchte, sie in Schach zu halten, aber sie drängten sich immer wieder in sein Bewusstsein. Er prustete, versuchte, sie mit einem Lachen zu verscheuchen, aber sie verweilten hartnäckig, wo sie waren.
    »Das ist nicht möglich«, sagte er und verleugnete damit etwas, das in Worte zu fassen er sich weigerte. Er erinnerte sich an sein ganzes Leben. Niemand verfügte über die Art von Technologie, die nötig gewesen wäre, um eine Lebensspanne voller Erinnerungen zu transplantieren. Nein, er war er selbst. Er konnte niemand anderes sein.
    Allerdings war er nach seinem Kampf gegen den Umbaraner für eine Weile bewusstlos gewesen. Er entsann sich, wie er sich gefühlt hatte, als er wieder zu sich kam – an seine Verwirrung, an seine Unfähigkeit, sich zu erinnern. Das ließ sich jedoch alles mit einer Kopfverletzung erklären.
    Sein Blick fiel auf seine verletzten Finger, deren Wunden wieder aufgegangen waren. Wieder aufgegangen … Das hatte Marr ihm so erklärt, und Marr würde ihn nicht belügen. Andererseits hatte Marr ihn auf sonderbare Weise gemustert. Jaden hatte angenommen, dass er sich wegen seiner Verletzungen sorgte, aber konnte der Grund dafür nicht auch ein anderer gewesen sein? War das nicht möglich?
    Er betrachtete sein Ebenbild im Spiegel und fand keine Antwort auf diese Frage.
    Draußen in den fernen Bereichen des Systems studierte Soldat an Bord des Spähfliegers des Umbaraners die Sternkarten. Sie befanden sich in einem Gebiet, das der Navigationscomputer als die Unbekannten Regionen bezeichnete. Tatsächlich war das gesamte Weltall für Soldat eine unbekannte Region, so wie alles, das mit dem Leben zusammenhing.
    Er hatte seinen Klon kennengelernt. Und die Begegnung mit Jaden Korr hatte ihm gezeigt, was er sein konnte. Jahrzehntelang hatte er in seinem Leben nach einem Sinn gesucht, nach einem Lebenszweck, den er in Seherin und ihrer Suche nach Mutter gefunden zu haben glaubte. Doch das war eine Lüge gewesen, eine trügerische Hoffnung, die Verzweiflung und Einsamkeit entsprang. Er war selbst dann allein gewesen, wenn er nicht allein war, anders als die anderen Klone, isoliert, abgesondert. Seherin schien seinen Schmerz zu verstehen und hatte versucht, ihn mit ihrer Mission zu lindern. Allerdings war Mutter ihre Mission gewesen, nicht seine. Seine war … eine andere.
    Anmut hatte sich auf dem Kopilotensitz zusammengerollt. Sie sah so zart aus, so blass, so leicht, als könne eine starke Brise sie fortwehen. Er hatte ihr die Medikamente verabreicht. Ihre Krankheit war unter Kontrolle – er hatte genügend aus dem Versorgungsschiff gerettet, um sie jahrelang symptomfrei zu halten. Während dieser Zeit würde er sie beschützen, sie großziehen, damit sie ein besseres Leben hatte, als er es gehabt hatte. Vielleicht konnte er irgendwo dort draußen sogar ein Heilmittel für sie finden.
    Ja, er hatte einen Lebenszweck. Sie öffnete ihre Augen, blickte zu ihm auf und lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln.
    »Es ist dunkel hier drin«, sagte sie.
    »Heller lassen sich die Lampen nicht stellen«, sagte er. Der Umbaraner musste die Beleuchtung so entworfen haben. »Wir lassen es ändern, sobald wir können.«
    »Wohin fliegen wir?«, fragte sie.
    Er dachte eine ganze Weile über

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