Dunkle Gewaesser
Kleid, das ich May Lynn Baxter je habe tragen sehen. Ein Kleid mit blauen Blumen darauf und so ausgebleicht, dass kaum noch zu erkennen war, welche Farbe die Blumen mal gehabt hatten. Außerdem war es ihr inzwischen ein bisschen zu kurz geworden.
Ich hatte nur einmal erlebt, dass sie es nicht angehabt hatte, und das war, als ich und sie und Terry und Jinx uns nachts zum Schwimmen runter zum Fluss geschlichen hatten. Im Mondlicht hatte sie wunderschön ausgesehen. Splitterfasernackt, mit einer klasse Figur und mondscheinblondem Haar, das ihr bis auf die Hüfte fiel, derweil das Kleid schlaff an einem Ast hing. Sie bewegte sich wie zu einer Melodie, die wir nicht hören konnten. Damals begriff ich, dass sie zu den Mädchen gehören würde, nach denen sich unverheiratete Männer mit angehaltenem Atem umdrehten, während sich verheiratete Männer wünschten, ihre Ehefrauen würden sich in Luft auflösen. Eigentlich war sie jetzt schon so ein Mädchen.
Terry hatte ihr keine Beachtung geschenkt, aber das lag wohl daran, weil er angeblich eine Schwuchtel war. Es gibt da ein paar Gerüchte, und eins davon hat mit einem Jungen zu tun, der am anderen Ende des Flusses wohnt und für einen Sommer seine Verwandten hier in der Gegend besuchen kam. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber mir ist das so oder so egal. Ich kenne Terry schon, seit wir ganz klein waren, und was ich von der Liebe zwischen Männern und Frauen mitbekommen habe, besteht größtenteils daraus, dass Daddy herumliegt, keinen Finger rührt, sich betrinkt und Mama ins Gesicht schlägt. Einmal, nachdem er sie ziemlich heftig verprügelt hatte und fischen gegangen war, zog ein Gewitter auf, und ich lag im Bett und hoffte, ein Blitz würde ihn treffen, ihm die letzten Zähne raushauen und ihn umbringen, sodass nur noch seine rauchende Mütze übrig blieb. Ich weiß, das ist gemein, aber das hab ich halt gedacht.
Mich ärgerte, dass Mama der Meinung war, sie hätte die Prügel verdient, schließlich hätten die Männer das Sagen. So steht es in der Bibel, hat sie mir erklärt. Kein Wunder, dass ich keine Lust mehr hatte, drin zu lesen.
Hier lag May Lynn nun also, halb am Ufer, das Kleid war im Lauf der Jahre noch kleiner geworden, und jetzt war sie außerdem völlig aufgedunsen.
»Ihre Augen sind zugeschwollen«, sagte Onkel Gene. »Die ist schon eine ganze Weile da drin.«
»Das dauert nicht lange, bis du so aussiehst«, sagte Daddy. »Wenn du ertrinkst und eine Nacht nicht auftauchst, wirst du halt so.«
Urplötzlich fing May Lynn an zu zucken und auszulaufen. Sie hatte Blähungen, die wirklich furchtbar stanken, wie ein gewaltiger Furz. Die Hände waren ihr mit rostigem Draht auf den Rücken gebunden, und auch ihre Füße waren damit gefesselt und bis zu ihren Händen hochgezogen. Ihre Haut war geschwollen, wo der Draht reinschnitt – der Draht, der sich in unserem Sack verfangen hatte.
Nachdem wir sie ganz rausgezogen hatten, sahen wir, dass an ihren Füßen eine Singer-Nähmaschine befestigt war, mit mehreren Stücken Draht, damit es hielt. Der Draht steckte tief in ihrem Fleisch, bis auf die Knochen. Wegen dem Gewicht der Singer hatten wir sie zu viert rausziehen müssen.
»Ist das nicht May Lynn Baxter?«, fragte Daddy.
Er hatte das gerade erst begriffen – offenbar ließ sich seine Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, immer Zeit, bis die Zukunft keine mehr war. Er drehte sich um und sah mich fragend an.
Mir blieben die Worte beinahe im Hals stecken. »Sieht fast so aus.«
»Aber sie war doch noch ein Mädchen«, sagte Terry. »Sie war so alt wie wir.«
»Der Tod hat nichts mit dem Alter zu tun«, orakelte Onkel Gene. »Aber die hat das letzte Mal mit den Hüften gewackelt, das kannst du mir glauben.«
»Ich denke, wir sollten irgendwas tun«, sagte Daddy.
»Genau – wir sollten unser Seil durchschneiden und sie wieder reinwerfen«, erwiderte Onkel Gene. »Wenn sie niemand findet, wird sie deshalb auch nicht toter, und ihr Vater muss nicht erfahren, dass sie tot ist. Dann glaubt er vielleicht, dass sie nach Hollywood durchgebrannt ist oder so was. Wollte sie da nicht immer hin? Ich mein ja nur – das ist, wie wenn ein Hund stirbt, und du erzählst den Kindern nichts, und sie glauben, der Hund lebt jetzt bei jemand anders.«
»Sie hat keine richtige Familie mehr«, murmelte Terry, ohne irgendwen anzuschauen, den Blick starr auf den Fluss gerichtet. »Wir waren ihre einzigen Freunde, ich und Sue Ellen und Jinx. Sie ist kein Hund.«
Daddy und
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