Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
ihm und veränderten seine Welt – eine Welt, in der er gerade noch ein zufriedener Tosher gewesen war, bis er plötzlich als Held galt und in den piekfeinen Häusern piekfeiner Leute ein und aus ging. Man schien eine andere Person zu sein als jene, in deren Haut man morgens aufgewacht war. Dodger fühlte sich wie von einer großen Feder gezogen. Vielleicht, dachte er, muss sich ein Junge irgendwann entscheiden, zu welcher Art von Männern er einmal gehören will. Will er der Spieler sein oder die Spielfigur …?
Dodger lächelte im Dunkeln, schlief ein und träumte von goldenem Haar.
Am Morgen schrubbte er das Gesicht ab, bevor er sich auf den Weg zum Haus von Mister Mayhew machte. Bei Tageslicht wirkte das Haus recht stattlich. Es war kein Palast, sondern das Heim eines Mannes, der genug Geld besaß, um Gentleman genannt zu werden. Die ganze Straße sah so aus: elegant, ordentlich, sauber. Es ging sogar ein Polizist Streife, und zu Dodgers großer Überraschung winkte er zum Gruß. Es war kein großartiges Winken, nur eine kleine Bewegung mit den Fingern, aber bis vor Kurzem hätte ihn ein Polizist in einer solchen Gegend aufgefordert zu verschwinden, und zwar fix. Ermutigt erinnerte sich Dodger an Charlies Ausdrucksweise, erwiderte den Gruß des Constable und sagte: »Guten Morgen, Officer, was für ein schöner Tag, zweifellos.«
Nichts geschah! Der Polizist schlenderte an ihm vorbei, und damit hatte es sich. Na so was! Hoffnungsvoll gestimmt fand Dodger das Haus. Schon früh hatte er gelernt, sich bei den Hintertüren von Häusern nobler Viertel herumzutreiben und – ein sehr wichtiger Punkt – als spritziger Junge zu gelten. Ihm war klargeworden: Wenn man schon ein Gassenjunge war, so half es, eine Berufung darin zu sehen und ein möglichst guter Gassenjunge zu werden. Und um ein möglichst guter Gassenjunge zu sein, musste man schauspielerische Talente entwickeln. Darauf lief es hinaus. Man musste mit allen reden können, mit den Butlern und Köchen, mit den Hausmädchen und sogar mit den Kutschern. Kurz gesagt, man musste der fröhliche Bursche sein, immer gut drauf, allen bekannt. Es war Theater, und er trat dabei als der große Star auf. Ruhm und Reichtum errang man kaum, aber man riskierte auch nicht, am Galgen zu enden. Nein, Sicherheit lag in einem Talent, das man sein Eigen nennen konnte, und sein Talent bestand darin, Dodger zu sein, ganz und gar Dodger. Also ging er nun ums Haus herum zur Hintertür und hoffte, noch einmal der Köchin Missus Quickly zu begegnen und ein weiteres Stück Hammelfleisch zu ergattern.
Ein Dienstmädchen öffnete die Tür und fragte: »Ja, Sir?«
Dodger straffte die Gestalt und sagte: »Ich möchte zu Mister Mayhew. Ich glaube, er erwartet mich. Mein Name lautet Dodger.«
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als es im Haus klapperte, woraufhin das Dienstmädchen ein wenig in Panik geriet, was bei Dienstmädchen oft der Fall ist (insbesondere wenn sie es mit Dodgers fröhlichem Grinsen zu tun bekamen). Doch sie entspannte sich, als sie von Dodgers alter Freundin Missus Quickly beiseitegeschoben wurde, die ihn von Kopf bis Fuß musterte und sagte: »Na, sieh mal einer an, hast dich richtig herausgeputzt, und ob! Entschuldige bitte, dass ich keinen Knicks mache, aber ich stecke bis zu den Achseln in Gekröse.«
Einen Moment später kehrte die Köchin zur Tür zurück, diesmal unbelastet von Innereien. Sie verscheuchte das Dienstmädchen mit den Worten: »Mister Dodger und ich halten ein Schwätzchen. Geh und kümmere dich um die Schweinshaxen!« Dann schenkte sie Dodger eine Umarmung, an der auch gewisse Anteile von Gekröse beteiligt waren, wischte ihn anschließend ab und sagte: »Du bist der Held der Stunde, mein kleiner Schatz, ja, das bist du, sie haben beim Frühstück darüber gesprochen! Offenbar hast du Schlingel gestern ganz allein verhindert, dass der Morning Chronicle von Räubern gestürmt wurde.« Sie bedachte Dodger mit einem frechen Lächeln. »Ich sagte mir: Wenn das der junge Mann ist, den ich neulich kennengelernt habe, so kann er nur dann einen Diebstahl verhindern, wenn er die Hände auf den Rücken legt. Aber es scheint, dass du gegen Räuber gekämpft und sie verjagt hast, so heißt es. Man stelle sich das vor! Bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis man dich bittet, Bürgermeister zu werden. Wenn es dazu kommt, möchte ich deine Bürgermeisterin sein – keine Sorge, ich bin viele Male verheiratet gewesen und weiß, wie’s geht.« Sie
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