Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
unten, auch wenn sie gelegentlich Suppe für die Bedürftigen kochen.«
Bei dem Wort Suppe knurrte Dodger der Magen, und zwar offenbar so laut, dass Mister Mayhew es hörte, denn er wurde plötzlich aufgeregt und sagte: »Oh, mein lieber Dodger, du musst natürlich sehr hungrig sein! Ich habe damit gerechnet und werde diese Glocke hier läuten, damit dir das Dienstmädchen Schinken mit Eiern bringt. Wir sind nicht reich, aber glücklicherweise sind wir auch nicht arm. Ich sollte vielleicht darauf hinweisen, dass jeder einen anderen Maßstab für arm und reich hat. So begegnete ich Menschen, die ich zu den Ärmsten der Armen gezählt hätte, die jedoch behaupteten, ganz gut zurechtzukommen. Während ich andererseits Männer kennenlernte, die in vornehmen Häusern wohnen und über ein hohes Einkommen verfügen, sich jedoch nur einen Schritt vom Schuldturm entfernt wähnen.« Er lächelte, läutete die Glocke und sagte: »Wie ist es mit dir, Dodger? Du bist ein Tosher, wenn ich das richtig sehe, und offenbar wirst du auch in anderen Bereichen tätig, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt. Hältst du dich für reich oder arm?«
Dodger erkannte eine Fangfrage auf Anhieb. Mister Mayhew, so glaubte er, sah die Welt vielleicht nicht mit der gleichen finsteren Schärfe wie Charlie, aber es wäre ein Fehler gewesen, ihn zu unterschätzen. Deshalb griff Dodger zum letzten Mittel, das Aufrichtigkeit hieß. »Ich schätze, Sol und ich sind nicht ganz arm, Sir. Wissen Sie, wir machen ein bisschen dies und ein bisschen das, und auf diese Weise schlagen wir uns recht gut durch, im Vergleich zu anderen.«
Das schien den Anforderungen zu genügen, denn Mister Mayhew nickte zufrieden. Er blickte in sein Notizbuch und sagte: »Sol ist der Herr jüdischen Glaubens, bei dem du wohnst, wie ich von Charlie hörte, ja?«
»Oh, er glaubt nicht nur, Jude zu sein, er ist es tatsächlich. Er wurde als Jude geboren, soweit ich weiß. Das hat er mir jedenfalls erzählt.«
Dodger fragte sich, warum Mister Mayhew lachte, und er fragte sich auch, woher Charlie wusste, wo und bei wem er wohnte, denn er erinnerte sich nicht, es ihm erzählt zu haben. Aber das spielte eigentlich keine Rolle, weil er das Dienstmädchen und auch das Klappern eines Tabletts auf der anderen Seite der Tür hörte. Es war ein Klappern, das auf ein schweres Tablett hinwies, was Dodger für ein gutes Zeichen hielt. Er irrte nicht, wie sich herausstellte. Mister Mayhew sagte, er habe bereits gefrühstückt, und so machte sich Dodger mit Heißhunger über Schinkenspeck mit Eiern her.
»Charlie setzt große Hoffnungen in dich, musst du wissen«, sagte Mister Mayhew. »Und ich gestehe meine Bewunderung für die Tatsache, dass du dich so sehr für unsere junge Dame eingesetzt hast, obwohl du ihr, wenn ich richtig informiert bin, nie zuvor begegnet bist. Ich bringe dich bald zu ihr. Offenbar versteht sie Englisch, aber ich fürchte, die schreckliche Tortur, die sie hinter sich hat, blieb nicht ohne Wirkung auf ihren Kopf, denn sie kann sich nicht an die dunklen Ereignisse erinnern, denen sie allem Anschein nach zum Opfer fiel.«
Dodger begutachtete das restliche Essen auf seinem Teller, ohne alles auf einmal zu verschlingen, was sehr ungewöhnlich war, und sagte: »Sie war sehr verängstigt. Mir scheint, sie ist mit einem Kerl verheiratet, der sie verdammt schlecht behandelt. Und …« Dodger wollte noch mehr sagen, zögerte aber. Er dachte: Sie ist verletzt, ja. Sie hat Angst, ja. Aber ich glaube nicht, dass Furcht und Schmerz ihre Erinnerungen ausgelöscht haben. Ich schätze, sie will nur Zeit gewinnen, bis sie herausgefunden hat, wer ihre Freunde sind. Und so schlecht es ihr auch gehen mag … An ihrer Stelle täte ich so, als ginge es mir noch ein wenig schlechter – das ist die Regel der Straße. Man behalte das eine oder andere Geheimnis für sich.
Dodger fühlte noch immer den Blick des Mannes auf sich ruhen, und nur wenige Sekunden später sagte Mister Mayhew: »Wenn du also gestattest … Wo bist du geboren, Dodger?«
Er musste sich gedulden, bis Dodger den Teller endgültig geleert und das Messer an beiden Seiten abgeleckt hatte. Dann erwiderte Dodger: »In Bow, Sir. Aber sicher bin ich mir nicht.«
»Hättest du etwas dagegen, mir zu erzählen, wie du aufgewachsen und … zu einem Tosher geworden bist?«
Dodger hob die Schultern. »Zuerst war ich ein Schlammkriecher. Das fällt Kindern leicht, es liegt gewissermaßen in ihrer Natur. Sie wühlen im Schlamm am
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