Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
rauschte Missus Mayhew hinaus und hinterließ ein plötzlich stilles Zimmer.
Dodger blickte zu Simplicity hinüber und wandte sich dann an Mister Mayhew. »Sir, wenn Sie nichts dagegen haben … Ich würde gern allein mit Simplicity reden. Ich kann ihr dabei helfen, die Suppe zu essen. Vielleicht ist sie bereit, sich ein wenig mit mir zu unterhalten.«
»Nun, es erscheint mir unziemlich, eine junge Dame allein in einem Schlafzimmer in deiner Gesellschaft zu lassen.«
»Ja, Sir, es ist auch unziemlich, eine junge Dame halb totzuschlagen und sie ertränken zu wollen, aber das war nicht ich, Sir. Deshalb frage ich mich, ob Sie vielleicht bereit wären, die Regeln in der privaten Welt Ihres Hauses ein wenig … menschlicher zu gestalten.«
Ein Geräusch wies darauf hin, dass Missus Mayhew draußen vor der Tür wartete, und der plötzlich leicht konfuse Henry Mayhew sagte: »Ich lasse die Tür offen. Wenn Miss Simplicity einverstanden ist.«
Seinen Worten folgte vom Bett her sofort der unverkennbare Klang von Simplicitys Stimme. »Bitte, Sir, ich würde mich über die Gelegenheit freuen, ein christliches Wort mit meinem Retter zu wechseln.«
Mister Mayhew ließ die Tür tatsächlich einen Spaltbreit offen, und Dodger fühlte sich von einer seltsamen Unsicherheit erfasst, als er auf dem Stuhl Platz nahm, den Missus Mayhew freigegeben hatte. Er schenkte Simplicity ein unsicheres Lächeln, das sie mit beträchtlichem Wohlwollen erwiderte. Dann nahm er den Suppenlöffel, bot ihn ihr an und fragte: »Was wünschst du dir? Was soll als Nächstes geschehen?«
Ihr Lächeln wurde breiter. Langsam und vorsichtig nahm sie den Löffel entgegen, hob ihn zum Mund und schluckte ihre Suppe. Mit leiser Stimme erwiderte sie: »Ich würde gern sagen, dass ich nach Hause möchte, aber ich habe kein Zuhause mehr. Und ich weiß nicht, wem ich trauen kann. Kann ich dir trauen, Dodger? Ich glaube, ich sollte einem Mann vertrauen, der tapfer für eine Frau gekämpft hat, die er nicht einmal kennt.«
Dodger tat so, als wäre es nichts Besonderes für ihn, junge Frauen in Not zu retten. »Ich bin ziemlich sicher, dass du Mister und Missus Mayhew vertrauen kannst.«
Doch Simplicity überraschte ihn mit den Worten: »Nein, da bin ich mir nicht sicher. Mister Mayhew hätte es lieber, wenn wir beide nicht miteinander reden, Dodger. Er scheint zu glauben, dass du mir gegenüber die Situation irgendwie ausnützen könntest. Aber das halte ich für …« Sie überlegte und schien nach einem geeigneten Wort zu suchen. »… unpassend. Du hast für mich gekämpft, du hast mich gerettet, und jetzt willst du mir etwas zuleide tun? Die Mayhews sind gute Menschen, kein Zweifel, aber gute Menschen könnten zum Beispiel auf den Gedanken kommen, dass es besser wäre, mich den Gesandten meines Mannes zu übergeben, da ich seine Ehefrau bin. Manche Leute nehmen es mit solchen Äußerlichkeiten sehr genau. Zweifellos käme jemand mit einem unterschriebenen Dokument, ausgestattet mit einem eindrucksvollen Siegel, und dann würden die Mayhews dem Gesetz gehorchen. Einem Gesetz, das zulässt, mich aus dem Land zu bringen, in dem meine Mutter geboren ist, zurück zu einem Ehemann, dem ich peinlich bin und der es nicht wagt, seinem Vater zu trotzen.«
Ihre Stimme wurde kräftiger, als sie sprach, und Dodger merkte plötzlich, dass sie auch immer mehr wie ein Straßenmädchen klang, wie ein Mensch, der wusste, wie der Hase lief. Der leichte deutsche Akzent war verschwunden, und die Vokale von England lagen in Simplicitys Ton. Außerdem ging sie genauso vor wie alle klugen Menschen: Sie verriet nichts, was der andere nicht unbedingt wissen musste.
Dodger versuchte, dem Akzent einen Ort zuzuordnen. Er wusste von fremden Sprachen, aber als anständiger Londoner hielt er nicht viel davon und wusste wie alle anderen: Wer kein Engländer war, wurde früher oder später zu einem Feind. Wenn man sich bei den Docks herumtrieb, lernte man die fremden Sprachen nicht unbedingt, aber man wurde zumindest mit ihrem Klang vertraut. Ein aufmerksames Ohr stellte fest, dass ein Holländer anders sprach als ein Deutscher, einen Schweden erkannte man natürlich immer, und Finnen gähnten, wenn sie mit einem redeten. Dodger konnte eine Sprache gut von der anderen unterscheiden, aber er hatte sich nie die Mühe gemacht, eine von ihnen zu erlernen. Allerdings hatte er schon als Zwölfjähriger gewusst, was Wo geht’s zu den leichten Mädchen? in verschiedenen Sprachen hieß, unter
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