Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
erleichtert wirkt. »Wir sehen uns hier wieder, wenn es vorbei ist«, sagt er. »Ich sorge dafür, dass Ihnen niemand folgt.«
Er schließt die Tür, klopft mit der Handfläche aufs Dach, um dem Fahrer zu signalisieren, dass er losfahren kann, und der Wagen rollt an.
Showtime.
Kapitel 64
I ch hasse Friedhöfe beinahe ebenso sehr wie Krankenhäuser, selbst einen so makellos gepflegten und herrlich angelegten Friedhof wie Mount Hope. Der Grund dafür ist so offensichtlich wie die marmornen Gedenksteine, an denen wir vorüberfahren. Symbole menschlicher Sterblichkeit. Seit ich zum Vampir geworden bin, habe ich nur darüber nachgedacht, wie anders meine Realität jetzt ist. Aber dieser Ort macht den Unterschied greifbar deutlich. Ich werde meine Eltern an einem solchen Ort sehen, sogar Trish und ihre Kindeskinder, und ich werde weiterexistieren, bis ein Unfall oder die Rächer dem ein Ende setzen. Dann wird mein Leichnam verschwinden, genau wie Averys, und nichts, kein Grabstein, kein Name an einer Urnenmauer, nichts wird festhalten, dass ich überhaupt hier war.
Verzweiflung, fast unerträglich schmerzlich, überwältigt mich. Mein Bruder ist hier begraben, auf der anderen Seite des Friedhofs. Der Drang, aus dem Wagen zu springen und zu fliehen, ist stark. Irgendwie erscheint es mir als Entweihung heiligen Bodens, mich als Vampir hier aufzuhalten.
Der Wagen wird langsamer. Ich schaue hinaus und sehe, dass wir einen kleinen Hügel hinaufgefahren sind. Hier stehen Bäume, große, alte Bäume. Bäume, die schon hier standen, lange bevor die Menschen dieses Gebiet als Ruheplatz für ihre Toten beansprucht haben. Mount Hope reicht bis zu den frühen Tagen der Besiedelung Kaliforniens durch Missionare zurück, und dies ist der älteste Teil des Friedhofs. Ich verstehe, warum Williams sich diesen Ort ausgesucht hat. Hohe Buchshecken umgeben diesen Bereich, und obwohl ich nicht sehen kann, was dahinter ist, weiß ich, dass die Polizei dort wartet. Ich spüre die Blicke.
Der Polizist am Steuer fragt, ob er mich begleiten soll. Er dreht sich nicht zu mir um, als er mich anspricht, sondern blickt sich weiterhin wachsam um. Vermutlich gehört auch er zum Sondereinsatzkommando, und Williams hat ihn deshalb als Begleitung für mich ausgewählt.
Ich lehne ab und steige aus. So plötzlich, wie die Verzweiflung auf mich herabgesunken ist, verfliegt sie wieder. Jetzt spüre ich nichts mehr. Keine Panik, keinen Schrecken, kein Gefühl drohender Gefahr. Die Stille in mir ist ebenso vollständig wie die Ruhe, die mich hier auf diesem Hügel umgibt. Nur der Wind flüstert hin und wieder in den Bäumen und bricht den Zauber. Vielleicht ist es der Geist meines Bruders, der gekommen ist, um mich zu trösten. In den letzten paar Monaten habe ich erlebt, dass so gut wie alles möglich ist.
Williams hat mir auf einer Karte gezeigt, welche Grabstelle angeblich Davids ist. Die Erde ist frisch aufgeschüttet und mit Grassoden bedeckt. Es wurde kein Grabstein aufgestellt, und ich frage mich beiläufig, wessen Grab er da wohl für unsere Zwecke beschlagnahmt hat. Ob die Familie des Verstorbenen ihre Erlaubnis dazu geben musste?
Ich gehe auf das Grab zu. Nichts geschieht, niemand tritt hinter einem der dicken Baumstämme hervor und greift mich an. Kein Schuss zerreißt die Stille. Williams hat daran gedacht, Blumen mitzubringen, die ich auf das Grab legen kann, und ich habe sie jetzt in der Hand. In der Handtasche, die ich über die Schulter trage, steckt eine Waffe. Falls alles wie geplant läuft, werde ich sie nicht benutzen müssen. Jeden Moment müsste ich den Lärm hören, wenn die Polizei diesen »Geist« niederringt, und dann wird diese Charade vorbei sein. David kann wieder unter die Lebenden zurückkehren, und wir können versuchen, alles wieder geradezubiegen, was zwischen uns schiefgegangen ist. Mir wird klar, dass ich mir das am allermeisten wünsche.
Die Einfachheit dieser Erkenntnis erstaunt mich selbst. Ich weiß, was ich will. Ich will wieder böse Jungs jagen. Menschliche böse Jungs. Williams weiß es noch nicht, aber meine Tage als Jägerin der Abtrünnigen sind gezählt. Das Töten wird allzu leicht. Die Wächter werden ohne mich zurechtkommen müssen.
Jetzt habe ich das Grab erreicht, und ich werde allmählich unruhig. Wie lange muss ich denn hier stehen? Ich bücke mich und lege die Blumen am Fuß des Grabes ab. Ein paar Minuten bleibe ich davor hocken und blicke mich unauffällig um.
Nichts. Keine Bewegung, kein Laut.
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