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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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studentischen Reisebüro und erkundigte mich, wie viel ein Flug nach New York kostet. Vielleicht sollte ich dir das alles gar nicht erzählen?
    Â 
    Der Anfang deiner Mail brachte mich zum Lachen. Du hast recht, dein New Yorker Chevrolet rächt sich jedes Mal an dir, wenn du ihn verlässt, und weigert sich dann zu starten. Man sollte sich davor hüten, jemanden zu verlassen. Ich saß in meinem Büro und lachte laut, und Ronen sagte, Eva liest einen schmutzigen Witz. Aber als ich zum Ende der Mail kam, war ich so traurig, dass ich fast weinte.
    Â 
    Zum Weinen ging ich zu Ronen. Er ist ebenfalls Assistent. Er saß mir gegenüber. Er hat mich schon oft weinen sehen. Er nahm meinen Kopf in beide Hände und fragte, was los sei. Das war im Dezember, als Sascha mich verließ. Ich erzählte ihm meine Geschichte mit Sascha und er erzählte mir seine Geschichte mit Michael und Ofer. Als ich jetzt wieder traurig zu ihm ging und meinen Kopf auf seine Schulter legte, fragte er, ist es wieder Sascha? Nein, ein anderer, sagte ich. Und was ist passiert, fragte er. Er ist weg, sagte ich, er ist nach New York zurückgekehrt. So ist es nun mal, sagte Ronen, alle Männer sind Scheiße.
    Â 
    Durch diese Mails fange ich an, meine Liebe zu Details zu entdecken. Was kann uns schließlich retten außer Details? Mit ihrer Hilfe können wir unser Leben neu aufbauen. Wir müssen sie nur neu interpretieren. Mit Verallgemeinerungen kann man das nicht. Es ist wie mit Legosteinen. Wenn du von dem Traktor genug hast, zerlegst du ihn in seine Einzelteile und baust daraus ein Haus. Hättest du nicht daran gedacht, dass der Traktor aus Einzelteilen zusammengesetzt ist, hättest du für den Rest deines Lebens nichts anderes gehabt …
    Â 
    So wirst du vielleicht eines Tages für mich nicht mehr Adam sein, sondern ein ganz anderer. Wie zum Beispiel seine Eminenz der Botschafter. Oder ein Schriftsteller. Oder der Liebhabereiner anderen Frau. Aber immer noch aus den gleichen Einzelteilen zusammengebaut. Wie der Fels. Wie der Wodka. Wie der Streifen des Toten Meeres, der plötzlich für einige Sekunden zu sehen war.
    Â 
    Adam, ich weiß nichts über deinen Alltag.
    Was machst du die ganze Zeit dort im Konsulat?
    Liest du die Ha’aretz?
    Weißt du, dass ich ein Fahrrad habe?
    Dass ich am Sonntag im Seminar für Astrophysik einen Vortrag über schwarze Löcher halten muss?
    Dass ich siebzig Kilo wiege und einen Meter sechsundsiebzig groß bin und dass ich mir schon seit drei Jahren die Haare nicht geschnitten habe?
    Â 
    Was Sascha betrifft: Ich habe ihn vorgestern im Schwimmbad getroffen. Ich wusste, wie schon gesagt, dass ich ihn treffen würde. Aber nachdem ich mir in der Umkleidekabine meinen Badeanzug angezogen hatte und ins Wasser sprang, hatte ich es schon vergessen. Er kam sehr spät zum Schwimmbad, und da fiel es mir wieder ein. Er war schon im Wasser, als er mich entdeckte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er verzog sich sogar ins Nichtschwimmerbecken, nur um mir auszuweichen.
    Â 
    Ich schwamm zu ihm und sagte, ich hätte gewusst, dass ich ihn heute treffen würde. Obwohl wir uns fast ein Jahr nicht gesehen hatten, war alles ganz natürlich. Wir schwammen vielleicht dreißig Bahnen zusammen, synchron, so wie früher. Danach bestand er darauf, mich nach Hause zu fahren, und blieb bis drei Uhr nachts. Das habe ich schon erzählt. Mehr zu erzählen habe ich Angst.
    Â 
    Als ich ihn zur Tür begleitete, fragte er, ob ich mit ihm am Dienstagabend (also gestern) essen gehen wolle. Ich sagte ja.
    Â 
    Die Liebe eines unverheirateten Mannes ist anders als die eines verheirateten.
    Â 
    Â 
    Donnerstag, 21. Oktober, 00:32
    Â 
    Dein Brief senkte sich heute über mich wie ein Raubvogel. Vielleicht hätte ich nun, mitten in der Nacht, keine Mails lesen sollen. Ich fragte mich, was mich mehr erschüttert hätte: diese Mail oder gar keine Mail von dir zu bekommen.
    Â 
    Ich habe sie zweimal gelesen und noch nicht einmal geweint (Weinen hat etwas sehr Befreiendes, fast wie Lachen). Ich bin gerade nach Hause gekommen und muss meinen Vortrag vorbereiten. Ich weiß nicht, was ich noch hinzufügen soll, und habe keine Zeit, die Sätze auszufeilen. Stattdessen schicke ich dir deine Mail zurück. Als Anhang. Vielleicht nimmst du sie zurück?
    Eva
    Â 
    >Meine Eva,
    >ich spreche gegen Habgier, und trotzdem eröffne ich damit
    >meinen

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