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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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in Griechenland lebte. Single. Eine Frau, die genau wie er und zur gleichen Zeit von den gleichen Büchern begeistert war. Auch sie steckte in einer Krise, weil eine Beziehung zu Ende ging. In immer kürzeren Abständen wechselten sie Mails. (Gabi: Wir verliebten uns im Netz.) Sie hatte irgendeinen Job in Thessaloniki, glaube ich. Sie beschlossen, dass sie kündigen und zu ihm in die Narkisstraße in Jerusalem ziehen würde. (Kannst du dir das vorstellen, Adam? Sie beschloss, ihre Arbeit, ihr Land, alles zu verlassen, nur wegen einiger Mails.) Gabi: Wir waren sicher, dass es funktioniert, wir waren uns unserer Liebe sicher. Es schien keine Illusion zu sein, sondern realer als die Realität. (Ich: Hast du sie jemals gesehen, bevor ihr zusammengezogen seid? Gabi: Nein, nur auf einem unscharfen Foto, das sie mir als Anhang schickte.) Nach einer Woche in der Narkisstraße bat er sie, wieder zu gehen. Sie ging. Nach Japan. Er sah sie nie wieder. Aber dieses Intermezzo, diese Woche, erzählte er, habe ihnen beiden,obwohl er versagt habe, viel genützt. Sie hätten so viel daraus gelernt. (Gabi: Manchmal hilft eine Niederlage mehr als ein Erfolg.) Sie hatte immer nach Japan gehen wollen und endlich hatte sie es getan. Und er überwand seine Scheidungskrise, lernte sogar eine Frau kennen und heiratete noch einmal. Er hat mir nie erzählt, was zwischen ihm und dieser Frau aus Thessaloniki in jener Woche in der Narkisstraße vorgefallen ist. Vielleicht spielt es keine Rolle. Ende der Klammern. Jedes Mal, wenn ich das Geschriebene speichern muss, liege ich mit meinem Rechner im Clinch. Er schlägt mir Namen für meine Dateien vor. Zum Beispiel »Adam«. Was meinst du, liest er meine Briefe? Oder kommt es daher, weil ich dieses Wort so oft benutze? Ich jedenfalls finde es niedlich. Obwohl »niedlich« aus deinem Wortschatz stammt, nicht aus meinem. Interessant, wie Ausdrücke ihre Besitzer wechseln. Viele meiner Ausdrücke stammen von ehemaligen Liebhabern. Führen unsere Liebhaber zum Verlust der Identität? Bedeutet Liebe, die Identität zu verlieren? Und umgekehrt, auch sie haben vieles von mir angenommen, sodass sie mir mit der Zeit ähnlich wurden, so als würden sie sich gegenseitig rekonstruieren. Vielleicht ist das der Grund, dass ich dir bekannt vorkam, als du anfingst, mit mir zu reden, in deinem Wagen, auf dem Weg zur Notaufnahme? Vielleicht erkanntest du, dass ich meine Art zu reden und mich zu bewegen von Sascha gelernt hatte, damals, als ich mit ihm lebte, und vielleicht hat Sascha sie von Tanja, nach all den Jahren, die sie zusammen verbracht hatten? Das ist mir plötzlich in den Sinn gekommen: Ist das der Grund dafür, dass ich dir gefiel? Bin ich Tanjas Doppelgängerin? Sag die Wahrheit.
    Â 
    Plötzlich bin ich so müde. Ich werde dir heute nicht mehr erzählen, was vor zweieinhalb Jahren geschah.
    Eva

7
    Im Rückblick, angesichts des Dramas, das sie ihm seit dem Moment ihrer Ankunft angekündigt hatte, angesichts der Tatsache, dass alles, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, vielleicht anders verlaufen wäre, wenn er es vorher gewusst hätte, angesichts der Tatsache, dass so viel auf der Waagschale lag, viel mehr, als er anfangs vermutet hatte, dachte er, wie seltsam es doch war, dass er nicht hartnäckiger darauf bestanden hatte zu hören, was sie ihm hatte erzählen wollen, seltsam, mit welcher Leichtigkeit er die sich wiederholenden Aufschübe akzeptiert hatte, dabei war es klar gewesen, dass sie versucht hatte, ihm etwas Wichtiges zu sagen, im Café und schon davor, im Hotel, und noch eher, am JFK , und vielleicht auch in der letzten Mail, die sie ein paar Stunden vor ihrem Abflug noch an ihn geschickt hatte.
    Es stimmte zwar, dass sie jedes Mal durch irgendetwas davon abgehalten wurde, es ihm zu erzählen, aber es stimmte auch wieder nicht, vielleicht wartete sie auf den richtigen Zeitpunkt, der nie kam, vielleicht hoffte sie, er würde darauf beharren, sie zwingen, es zu erzählen, oder dass er erraten würde, was sie sagen wollte, als wäre es ein weiterer Puzzlestein in der Prüfung, der sie ihn unterzog, aber die Wahrheit war doch, dass sie jedes Mal, wenn er versucht hatte, Druck auszuüben, ausgewichen war oder das Thema gewechselt hatte, oder sie erzählte stattdessen irgendetwas anderes, eine Geschichte in unzähligen Variationen, zu jeder Geschichte eine Klammer, die als Versprechen auf

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