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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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vor, was wir geschrieben hatten. Das heißt, was wir zu schreiben versucht hatten. Wir verehrten damals Dowlatow und versuchten zu schreiben wie er. Wir sind aber nie sehr weit gekommen.
    Und wir zählten nicht mehr, wie oft wir miteinander schliefen. Die letzte Zahl, an die ich mich erinnere, war 111.
    Â 
    Aber wenn ich mit ihm zusammen war, litt ich nie unter dem Schmerz des Zufälligen, des Bedeutungslosen.
    Â 
    Das kam erst, nachdem ich ihn verlassen hatte, und es ging nie mehr weg.
    Seither habe ich nie wieder jemanden getroffen, bei dem ich das Gefühl hatte, vollkommen verstanden zu werden.
    Glaubst du, dass ich solch einen Menschen noch einmal treffen werde?
    Â 
    Â 
    Montag, 1. November, 11:20
    Â 
    Heute kann ich nicht schreiben. Meine Hände sind wie festgebunden. Seltsam, gerade wenn ich viel schreibe und mir alle Mühe gebe, keinen Gedanken oder kein Gefühl zu überspringen, jedes Mal, wenn ich dir ein weiteres Stück von mir gebe, reagierst du so heftig und so negativ. Es stimmt, dass ich schrieb, dass mich dein Zauber verlassen hat. Glaubst du, ich hätte es an jemand anderen schreiben können?
    Â 
    Das erste Mal, als du so reagiertest, vor zehn Tagen, war ich erschüttert. Ich schickte dir deine Mail zurück. Soll ich dir noch mehr Mails zurückschicken, Adam? Oder soll ich anfangen, mich zu zensieren? Langsam spüre ich das Trauma deiner übertriebenen Reaktionen, deiner Ansprüche, dass ich dich immer liebe, eine ewige Liebe zu einem verheirateten Mann. Das Trauma erstreckt sich bis auf meine Hände, die heute das Schreiben verweigern. Ich habe Angst, dir weiterhin die Wahrheit zu erzählen. Denn du vergisst, dass sie inTeilen kommt. Ist deine Liebe zu mir abhängig von meiner Liebe zu dir? Von täglichen Beweisen? Ich möchte es wissen.
    Â 
    Nein, dein Zauber hat mich nicht verlassen. Wie könnte man sonst die Tatsache erklären, dass der Schmerz, der mich vor zweieinhalb Jahren gepackt hatte, als ich Ilja verließ, vor fünf Wochen aufhörte, zum ersten Mal? Ich rede nicht vom Schmerz, der auf Sehnsucht oder Angst oder auf dem Wissen beruht, dass wir keine Zukunft haben. Ich meine den Schmerz, verloren zu sein in der Welt, in den Abgrund zu schauen, ich meine das Gefühl, das mich dazu gebracht hatte, zu meiner Mutter zu sagen: Wenn es in einem Jahr nicht vorüber ist, möchte ich nicht mehr weiterleben. Dieses Gefühl ist seit dem Unfall mit dem Honda Civic, an der Steigung zwischen Beth Zafafa und Gilo, verschwunden. Vielleicht ist es ja etwas Physisches, Adam? Hast du darüber nachgedacht? Vielleicht hat sich etwas in meinem Gehirn oder an meinen Nerven verändert, als ich auf die Straße geworfen wurde, obwohl die Untersuchungen nichts bewiesen? Vielleicht hat es nichts mit dir zu tun? Vielleicht eine Art Gehirnerschütterung, etwas vollkommen Mechanisches?
    Â 
    Ich habe Angst, dir zu erzählen, was vor zweieinhalb Jahren geschah. Wie ich Ilja so plötzlich verließ. Wie ich nach Israel auswanderte, ohne ihm davon zu erzählen. Du wirst falsche Schlüsse daraus ziehen. Du wirst denken, dass ich zu impulsiv bin, zerstörerisch, unberechenbar. Aber ich versuche es trotzdem. Lies es nicht gleich, solange du dich nicht sicher genug fühlst.
    Â 
    Exkurs: Fast alle Mails an dich schreibe ich offline (wegen der telefonischen Affäre meiner Mutter), wie viele Liebesaffären es wohl gibt, nur weil es ein Telefon gibt? Oder weil es Mailsgibt? Kannst du dir vorstellen, was auf der Welt los wäre ohne Mails? Ich hätte gar nicht mit dir zusammen sein können, und du nicht mit mir. Ich habe mir nie überlegt, wie sehr unsere Liebe ihre Existenz dem technologischen Fortschritt verdankt. Ich möchte hier noch eine Klammer aufmachen (obwohl ich in der Gefahr bin, sie nie zu schließen. Wird es unendlich viele Klammern geben? Ist es Liebe, wenn es unendlich viele Klammern gibt?). Gabi erzählte mir folgende Geschichte aus seinem Leben: Nach seiner Scheidung litt er unter schweren Depressionen, vor allem deshalb, weil er von seinen Kindern getrennt war (Adam, ich habe dich nie gefragt, warum du keine Kinder hast). Zwei Jahre lang konnte er seine Forschungsarbeit nicht fortsetzen. Er unterrichtete nur noch. Aber auch das nur wenig. In diesen zwei Jahren verbrachte er sehr viel Zeit im Internet und in Chat-Foren. In einem dieser Foren über japanische Literatur lernte er eine Frau kennen, die

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