Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
Vom Netzwerk:
Petersburg zurück, und wir beschlossen, dass ich ihn nach einem Monat besuchen würde. Ich wusste, dass seine Freundin ihn in Riga besuchen wollte, er hatte eine Freundin, aber er behauptete, dass sie bald Schluss machen würden. Ich wartete, dass er mir nach Sankt Petersburg schrieb. Er schrieb nicht. Ich wusste nicht, was los war.In jenem Monat litt ich mehr, als ich je wegen eines Mannes gelitten habe. Am Ende schickte ich ihm ein Telegramm. Das Einhorn bittet um Genehmigung, die Jungfrau zu besuchen. Er antwortete ebenfalls per Telegramm: Genehmigt. Oder so ähnlich. Ich fuhr mit dem Zug nach Riga. Während der Fahrt zählte ich die Stunden, sogar die Minuten, bis ich ihn sehen würde. Ich konnte es kaum erwarten.
    Â 
    Plötzlich hielt der Zug. Mitten in der Nacht. Ein Suizid. Irgendjemand war aus dem Zug gesprungen. Stundenlang warteten wir, ohne zu wissen, was los war. Angesichts dieser Tragödie fingen die Passagiere an, sich wie eine große Familie zu verhalten. Binnen einer Stunde war der gesamte Alkohol im Speisewagen ausverkauft. Was heißt das? Dass Menschen angesichts des Todes gern feiern?
    Â 
    Ich stand Stunden am Fenster und schaute hinaus. Es war kalt. Es schneite unaufhörlich. Ich wollte die Sekunden nicht zählen. Ich ertrug das Warten nicht. Nach sieben Stunden setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Ohne Vorankündigung. Niemand erklärte etwas. Ich war so müde. Mein Nachbar im Abteil hatte einen riesigen Hund dabei. Sonst war das Abteil leer, denn außer mir hatten alle Angst vor dem Hund. Es war das einzige Abteil, in dem man sich ausstrecken und sogar ein bisschen schlafen konnte. Der Hund mochte mich so sehr, dass er beschloss, neben mir zu schlafen. Ich legte den Arm um ihn. Er half mir einzuschlafen. An der ersten Station in Riga musste ich noch nicht aussteigen. Ich hütete den Hund, als sein Herrchen das Abteil verließ, um sich die Zähne zu putzen.
    Â 
    Plötzlich kam Ilja herein. Als er von der Verspätung erfahren hatte, war er zu dieser Station gefahren. Ich hatte ihn nicht erwartet, und er hatte nicht mit einem Hund gerechnet. VorHunden hatte er eine zwanghafte Angst. Vor Hunden erstarrte er ganz einfach. Wenn wir auf der Straße gingen und uns ein Hund entgegenkam, wechselten wir die Straßenseite. Wenn er dem Hund sehr nah war, verlor er die Kontrolle, er verkrampfte sich und blieb stehen.
    Â 
    Als Ilja das Abteil betrat, erstarrte er. Er hatte Rosen in der Hand. Auch seine Hand erstarrte. Ich musste seine Finger lösen, um die Rosen zu nehmen. Ich musste ihn hinausführen und den Hund im Abteil einsperren. Erst dann brachte er ein paar Worte heraus.
    Â 
    Noch taten wir so, als wären wir nur Freunde. Ich hatte vorgehabt, bei einer Freundin in Riga zu übernachten. Die Freundin war nicht zu Hause. Offenbar hatte ich mir nicht viel Mühe gegeben, alles zu organisieren. Wir gingen dann zu ihm nach Hause. Er hatte die Wohnung extra für mich geputzt. Dieses Mal waren seine Eltern nicht da. Er erzählte mir, dass er am Abend zuvor den Boden feucht gewischt hatte, er hatte mit dem Schrubber getanzt und gesungen, Eva kommt, Eva kommt. Er zeigte mir die kleinen Dinge in der Wohnung, die er liebte: einen Brotkasten aus hellem Holz, mit Hühnern bemalt, eine Schachmedaille, die er als Zwölfjähriger bekommen hatte, einen fleischigen Kaktus. Danach besuchten wir meine Freundin. Dieses Mal war sie zu Hause. Aber den Koffer hatte ich schon bei ihm gelassen.
    Â 
    Als wir zurückkamen, war ich müde. Er klappte für mich ein getrenntes Bett in der anderen Hälfte des Zimmers auf. Wir benutzten es nie. Am Anfang zählten wir, wie oft wir miteinander schliefen. In diesen neun Tagen in Riga schliefen wir siebenundzwanzig Mal miteinander. Wir hörten irgendwann, als wir die Hundert hinter uns hatten, mit dem Zählen auf.Ich liebte seine Zerbrechlichkeit, wenn er in mir war. Es gab Momente, in denen er das Baby war. Adam, vielleicht sollte ich dir das alles nicht erzählen?
    Â 
    In einer jener Nächte, als wir einander nicht einmal für eine Sekunde loslassen konnten, hatten wir einen kleinen Unfall. Er kam in mir. Damals benutzte ich nichts, Verhütungsmittel gab es kaum. Um genauer zu sein, bestand das verbreitetste Verhütungsmittel in Abtreibungen. Er kam in mir in der Nacht von Samstag auf Sonntag und ich musste bis Montag früh warten, um zum Arzt zu gehen. Der Arzt verlangte ein

Weitere Kostenlose Bücher