Dunkle Materie
Stipendium annehmen?
Der Vorteil ist, dass ich nicht mehr unterrichten muss (es ist ein Riesenvorteil, denn es ermöglicht mir, zu dir nach New York zu fliegen).
Und was den Nachteil betrifft, ich bin mir gar nicht sicher, ob es überhaupt einen Nachteil gibt.
Vielleicht werde ich weniger Zeit für Mails haben.
Ich werde Gabi helfen müssen, Artikel in der Bücherei zu kopieren. Ab und zu redigieren. Eine These für meine Doktorarbeit suchen. Und er hat vor, mich auch bei seinen Forschungsthemen zu beteiligen, wer weiÃ, vielleicht schreiben wir zusammen einen Aufsatz.
Er wirkt nicht wie ein strenger Chef. Eigentlich verbringt er die meiste Zeit im Haus Belgien. Deshalb hat diese Vereinbarung fast keine Nachteile.
Er hat mich auch zu einer Tagung eingeladen, die er in zwei Wochen am Toten Meer organisieren wird. Vielleicht werde ich dort sogar einen Vortrag halten.
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Was sagst du also dazu, Adam?
Du bist zwanzig Jahre älter als ich, deshalb ist es vielleicht sinnvoll, deinen Rat einzuholen?
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Donnerstag, 4. November, 09:15
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Was ist mit dir los? Du hörst dich plötzlich so anders an. Ist es der Stress bei der Arbeit? Oder eine Erkältung? Du bist auch auf meine Frage wegen Gabi nicht eingegangen. Ich glaube, ich werde ihm auf jeden Fall eine positive Antwort geben. Gute Besserung. Vielleicht solltest du doch noch zum Arzt gehen?
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Freitag, 5. November, 10:55
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Gestern habe ich den ganzen Tag dazu gebraucht, Formulare auszufüllen. Wenn ich gewusst hätte, dass dieses Stipendium mit so vielen Formularen verbunden ist, hätte ich es vielleicht nicht angenommen. Ich saà in Gabis Büro. Jedes Mal, wenn der Kugelschreiber leer war, hat er mir einen neuen gegeben. Die meisten Kugelschreiber bei ihm schreiben nicht. Wenn ich bei den Formularen etwas nicht verstand, fragte ich ihn um Rat, aber er verstand sie auch nicht. Da rief er seine Sekretärin an und gab an mich weiter, was sie ihm am Telefon erklärte. Ich bekam langsam das Gefühl, als wäre er meine Sekretärin. Besonders, als er darauf bestand, dass ich mich, um es bequemer zu haben, auf den Drehstuhl setzte, der so schaukelt, hinter dem riesigen Schreibtisch. Ab und zu hatte er dringende Aufgaben zu erledigen (im Haus Belgien Kaffee trinken, auf dem Rasen eine Zigarette rauchen), dann lieà er mich im Büro allein und ich legte die Beine auf den Tisch. Nur so. Einmal klopfte jemand an die Tür, ich glaube, es war einer von Gabis Studenten, ich sagte mit tiefer Stimme ja, und als er hereinkam und mich so sah, ist er fast in Ohnmacht gefallen.
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Ist das in Ordnung, wenn ich dir diesen Blödsinn erzähle? Ich merke, dass der Ton meiner Mails sich ändert. Ich glaube nicht, dass ich in den nächsten Tagen viel schreiben kann. Ich werde sehr viel zu tun haben. Die Tagung am Toten Meer ist in weniger als zwei Wochen, und mein Vortrag über die Theorie des inflationären Universums ist noch nicht fertig. (Ist Liebe vielleicht doch ein Phänomen unserer Freizeit? Vielleicht verliebt man sich ganz einfach, weil man zu viel Zeit hat?)
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Ich muss ein Thema für meine Doktorarbeit finden. Am Anfang dachte ich an schwarze Löcher. Aber jetzt, während ich den Vortrag für das Tote Meer vorbereite, fesselt mich die Theorie des inflationären Universums mehr. Das Problem ist, dass wir so viele Fragen ohne Antworten haben. Ãber die Vergangenheit, über die Zukunft. Wird das Universum sich immer weiter ausdehnen oder wird es in irgendeiner Phase aufhören, sich auszudehnen, und anfangen zu schrumpfen? Wird es noch einen Urknall geben? Und ist es wahr, dass gleich nach dem Urknall die Geschwindigkeit der Ausdehnung viel gröÃer war als die Lichtgeschwindigkeit und dass als Ergebnis viele Universen entstanden sind, die keinesfalls miteinander korrespondieren, denn kein Lichtstrahl wird je von einem Universum aus ein anderes Universum erreichen?
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Gestern sagte Sascha zu mir, vielleicht solltest du anfangen, dich ein bisschen umzuschauen. Es irritiert ihn, dass du und ich noch Kontakt haben. Obwohl ich ihm nichts sagte. Nicht über die Mails, die ich dir täglich schicke. Nicht über die Mails, die du mir schickst. Nichts.
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Und Lena gestern Abend, als hätte sie sich vorher mit Sascha abgesprochen: Wir dürfen Dinge, die uns groà erscheinen,nicht allzu ernst nehmen. Dinge, die momentan riesig erscheinen, werden
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