Dunkle Materie
er antwortete, dieses Thema gebe ihm die Möglichkeit, mich zu treffen, deshalb sei es gar nicht so unangenehm.
Â
Er hat vergessen, dass er schon einmal einen Versuch unternommen hatte, mich zu treffen. Vor zwei Jahren, im Haus Belgien. Es war während meiner ersten Wochen auf dem Campus, als ich noch scheuer und weniger frech war. Es gab keine freien Tische und er setzte sich zu mir. Darf ich, fragte er und setzte sich mit seiner Zwiebelsuppe mir gegenüber. Ich kann mich an den Duft seines Rasierwassers erinnern,den ich ziemlich mochte, und an seine braunen, muskulösen Arme. Er sah nicht aus wie ein typischer Professor.
Â
Wir führten ein kurzes Gespräch über Suppen. Ich erzählte ihm, dass ich süchtig nach Suppen bin. Dass ich früher sogar eine Zeitschrift über Suppen herausgegeben hatte. Er schaute mich lange an und fragte schlieÃlich, wer bist du? Ich sagte, ich sei erst vor kurzem aus Sankt Petersburg gekommen, dies sei praktisch mein erster Besuch im Haus Belgien. Von Sankt Petersburg zum Hause Belgien, sagte er und fing an zu lachen, das wäre ein guter Titel für ein Buch, nicht wahr?
Â
Später fragte er, und weiÃt du, wer ich bin? Nein, sagte ich, aber ich bin sicher, dass du es mir gleich sagen wirst. Das tat er. Ich hatte seinen Namen zuvor noch nicht gehört. Er sah ein bisschen enttäuscht aus. Ich stellte mir vor, er sei bestimmt ein berühmter Astrophysiker. Ich sagte, dass ich seinen Namen noch nie gehört hatte, sei nicht seine Schuld, sondern meine. Er lachte wieder. Ich sagte, dass ich noch nicht genug über Astrophysik wisse, obwohl mich das Thema sehr interessierte, vielleicht weil mein Vater Kosmonaut war. Oh, Kosmonaut? Darüber musst du mir alles erzählen, rief er. Seine Augen glänzten. Kaum zu glauben, sagte er, in ganz Israel gibt es nicht einen Astronauten, und hier sitze ich in Jerusalem und trinke Kaffee mit der Tochter eines Kosmonauten. Du trinkst keinen Kaffee, du isst Suppe, sagte ich. Er lächelte, dieser Fehler lässt sich korrigieren. Er stand auf, verschwand und kam nach einer Minute mit zwei Tassen Milchkaffee zurück. Er sagte, ich würde mich freuen, deinen Vater zu treffen, kannst du das arrangieren? Ich trank von dem Kaffee, obwohl er noch zu heià war. Auch meine Augen glänzten. Ich brachte kein Wort heraus.
Â
Gabi erzählte, dass er sich auf die Theorien zur Entstehung der Welt vor vierzehn Milliarden Jahren spezialisiert habe. Darüber, was in den ersten Sekunden nach dem Urknall geschah, als sich die gesamte Materie auf kleinstem Raum zusammendrängte und unermessliche Temperaturen besaÃ. Als Materie und Antimaterie (wie Elektron und Positron) miteinander kollidierten und sich in einem Prozess gegenseitiger Vernichtung verwandelten und zu Energie wurden (Photon, Neutron).
Â
Er erzählte mir, dass in den Tagen der Entstehung des Universums, Sekundenbruchteile nach dem Urknall, keine physikalischen Gesetze existierten, oder zumindest nicht die physikalischen Gesetze, die heute gelten. Deshalb könne man die uns bekannten physikalischen Gesetze nicht anwenden, um die Geschichte der Schöpfung zu verstehen. Ich erinnere mich, dass er diesen Begriff benutzte, die Geschichte der Schöpfung, als wäre er Professor für Bibelkunde und nicht für Physik.
Â
Ich fragte ihn, ob man es mit der Geschichte vom Paradies vergleichen könne, vor der Verkündigung der Tora, vor den Geboten, als noch alles erlaubt war. Er lachte. Er sagte, dass der Urknall ein einmaliges Ereignis gewesen sei, dass es keine Möglichkeit gäbe, ihn zu erklären, auch in Zukunft nicht. Die Ereignisse in einem Universum, in dem die Dichte der Materie gröÃer sei als die Dichte des Atomkerns, gehorche nicht den Gesetzen, die wir verstehen. Es sei anzunehmen, dass das junge Universum hauptsächlich aus schweren, aber unstabilen Teilchen bestand. Diese Teilchen fielen auseinander, verschwanden, wir wissen nichts darüber, in unserer Welt ist nichts davon übrig geblieben. Ich weià nicht, warum, aber als ich ihm zuhörte, hatte ich plötzlich Tränen in den Augen.Gabi wollte wissen, was los sei, Eva, hast du Mitleid mit den aufgelösten Teilchen, die nichts hinterlieÃen? Ich lachte, aber meine Tränen liefen weiter. Er holte ein Papiertaschentuch heraus und gab es mir.
Â
Â
Mittwoch, 3. November, 11:45
Â
Was sagst du dazu? Soll ich dieses
Weitere Kostenlose Bücher