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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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geputzt hatten, nebeneinander vor dem Spiegel stehend, als täten sie das schon seit fünf Jahren Tag für Tag, gingen sie zu Bett, deckten sich zu und schliefen in wenigen Minuten ein.
    Am nächsten Morgen erwachte er um zehn Uhr und rechnete nach, dass er dreizehn Stunden geschlafen hatte, er war so frisch und entspannt, dass es einen Moment dauerte, bis er merkte, dass sie nicht da war, erst dachte er, sie stecke unter der Decke, dann glaubte er, sie sei in der Badewanne, meinte sogar, Geräusche von dort zu hören, sodass er sich eine Viertelstunde lang nicht die Mühe machte, aufzustehen und nachzusehen, er sagte sich, gestern sei er vor ihr aufgewacht und habe geduldig warten müssen, bis sie aufgewacht war, und heute sei es eben umgekehrt, das war normal, heute war sie es eben, die vor ihm wach geworden war und geduldig auf sein Aufwachen wartete, sie war ins Badezimmer gegangen, um ihn nicht zu stören, wer weiß, vielleicht saß sie dort auf der Klobrille und aß Cracker.
    Ohne Eile stand er auf, um seine Theorie zu bestätigen, er öffnete langsam die Tür des Badezimmers, und als er sie nicht gleich sah, war er sicher, dass sie hinter dem Duschvorhang stand, obwohl nichts zu hören war, und auch als sie auch dort nicht war, blieb er entspannt, als wäre das Hotelzimmer voller geheimer Ecken und verborgener Gänge, die er noch nicht untersucht hatte, doch dann drang ihre Abwesenheit langsam in sein Bewusstsein und er sagte sich, auch wenn man einige Details besser ignoriert, das hier gehört nicht dazu, sie ist hier nicht, nicht in diesem Zimmer, das kann man nicht leugnen.
    Er begann, nach einem Lebenszeichen von ihr zu suchen, zum Beispiel einem Zettel, auf dem stand, wohin sie gegangen warund wann sie zurückkommen würde, er wühlte zwischen den Decken und den Laken, als habe sie den Zettel dort versteckt, er machte den Kleiderschrank auf und dann den kleinen Schrank im Badezimmer, und als er auch dort nichts fand, machte er sich daran, die anderen Stellen abzusuchen, zum Beispiel neben dem Telefon oder an der Tür, und dann ging er wieder ins Badezimmer, dramatisch, fast wie ein Sieger, als hätte sie sich dort versteckt und er würde sie überraschen, sie finden, wie bei einem Streich von Kindern.
    Aber sie war nirgends zu entdecken, auch keine Notiz von ihr, und Adam dachte, das ist es, sie hat mich verlassen, ich kann nichts machen, die gemeinsame Woche hat nur vierundzwanzig Stunden gedauert, oder dreißig und ein bisschen, eigentlich nur von Donnerstagnacht bis Samstagmorgen, und vielleicht nicht einmal das, vielleicht hatte sie ihn schon viel früher verlassen, vielleicht hatte sie gar nicht neben ihm geschlafen, vielleicht hatte sie die Nacht woanders verbracht, wie konnte man das wissen.
    Und plötzlich war es ihm wichtig zu wissen, um wie viel Uhr sie ihn verlassen hatte, um wenigstens die Stunden ausrechnen zu können, die sie gemeinsam verbracht hatten, und er schob die Gardine zur Seite und sah hinunter auf den Washington Square, als hätten sich die Spielregeln geändert und sie dürfe sich ab jetzt auch dort verstecken, nicht nur im Badezimmer.
    Das plötzliche Tageslicht blendete ihn, aber nach ein paar Sekunden fing er an, die verschiedenen Details zu unterscheiden, Bäume, Bürgersteige, Rasen, Wurstverkäufer, Radfahrer, Menschen mit Einkaufstüten, Menschen mit Regenschirmen, aber die Größe des Platzes und die Zahl der Menschen und die vielen Himmelsrichtungen, in denen sie sich fortbewegten, überforderten ihn, sodass er sich sagte, wenn er sie nicht auf diesem Platz fand, wie sollte er sie dann in ganz New York finden.
    Und plötzlich kam ihm die Idee, sie könne vielleicht in der57. Straße sein, die sie in der Vergangenheit so aufgeregt hatte, vielleicht gerade weil sie für sie beide tabu war, und selbst wenn sie sich nicht in jener Straße befand, würde sie wohl in einem anderen Teil von New York sein, da, wo Ruth normalerweise herumlief, überall sonst konnte Eva mit ihm herumspazieren, außer in jenen Stadtteilen, es gab keinen Grund, warum sie nicht allein hingehen sollte, schließlich hatte Ruth sie nie gesehen, es war nur Eva, die Ruth gesehen hatte, genauer gesagt, ein Foto von Ruth, damals in Jerusalem, nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten, hatte sie wissen wollen, wie seine Frau aussah, und er hatte es erst abgelehnt, es machte ihm Angst, aber Eva

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