Dunkle Materie
ihres Mannes noch nicht gefunden, aber wir bleiben dran, geben Sie die Hoffnung nicht auf.
Deshalb beschloss er, zunächst noch nicht zur Polizei zu gehen, auch die Tatsache, dass er Diplomat war, könnte die Angelegenheitkomplizieren, es wäre nicht ganz leicht, einen offiziellen Bericht über ein Verschwinden vor dem Sicherheitsoffizier des Konsulats zu verheimlichen, und wer weiÃ, zu was für einem Schneeballeffekt das führen würde, es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Suche selbst in die Hand zu nehmen, und er schaute unter dem Bett nach, vielleicht versteckte sich ihr Notizbuch dort, und dann öffnete er die Schublade unterm Telefon und konnte seinen Augen kaum trauen.
Der Umstand, dass ihr Notizbuch so nah gewesen war, in der Schublade unter dem Telefon, genau da, wo man es hätte vermuten müssen, beschämte ihn fast, irgendwie hatte er eine gröÃere Herausforderung erwartet, und statt in der Schublade nachzuschauen, hatte er angefangen, ihre Kleidung zu durchsuchen, und nun schlug er das Notizbuch auf und sah sofort, dass die meisten Einträge auf Russisch waren, in kyrillischer Schrift, doch es gab auch eine ganze Reihe von Einträgen auf Hebräisch und Englisch, und er dachte, dass die Sprache keine Rolle spielte, wichtig war nur, ob eine Telefonnummer mit der Vorwahl von New York darin stand, der Portier hatte ja gesagt, es habe sich um ein Ortsgespräch gehandelt.
Er ging die Nummern der Reihe nach durch, suchte die Zahlen Zwei-Eins-Zwei, er hoffte, diese Vorwahl zu finden, aber nicht zu häufig, und ihm fiel ein, wie gern Ruth Notizbücher durchblätterte, auch Telefonbücher, und wie sie stundenlang gespannt darin lesen konnte, versunken, als wäre es ein Krimi, vermutlich hätte ihr ein kurzer Blick in ein fremdes Notizbuch viel über die betreffende Person gesagt, und auÃerdem konnte sie die kyrillische Schrift lesen, sodass sie für diese Aufgabe viel geeigneter gewesen wäre als er.
Er fragte sich, was Ruth beim Blättern in dem Notizbuch über Eva herausgefunden hätte und was sie über sie gedacht hätte, wenn sie ihr begegnet wäre, ob sie für oder gegen sie gewesen wäre, ob sie ihn für seinen guten Geschmack gelobt hätte, er erinnertesich, dass Eva einmal gesagt hatte, die Ehefrau und die Geliebte seien sich in den meisten Fällen ähnlich, und selbst wenn es anfangs nicht so aussähe, würden sie sich mit den Jahren ähnlich werden, vorausgesetzt natürlich, das Verhältnis würde lange genug dauern, doch inzwischen war ihm Eva ja bereits nach dreiÃig Stunden weggelaufen.
Er blätterte in ihrem Notizbuch und ärgerte sich über die Telefonnummern ohne Vorwahl, denn davon gab es viele, er nahm an, dass es sich um Nummern in Jerusalem handelte, oder in Sankt Petersburg, jedenfalls nicht in New York, und als er plötzlich auf eine Nummer mit der New Yorker Vorwahl stieÃ, die einzige im Notizbuch, konnte er sein Glück kaum fassen.
Seit er beschlossen hatte, die Nachforschung selbst in die Hand zu nehmen, ohne fremde Hilfe, war plötzlich alles sehr schnell gegangen, das Telefongespräch von diesem Zimmer aus, morgens um acht Uhr fünfundzwanzig, das Notizbuch, die New Yorker Telefonnummer, plötzlich wurde diese Angelegenheit zu einer intellektuellen Herausforderung, eine Art Sherlock-Holmes-Spiel, seltsam, er hatte diese Woche in New York zwar als eine Prüfung betrachtet, aber bis jetzt dabei nicht in detektivischen Begriffen gedacht, doch das spielte keine Rolle, noch lief die Sache gar nicht so schlecht, er tappte nicht mehr im Dunkeln, er hatte schon den Anfang eines Fadens in der Hand, und alles, was er jetzt tun musste, war, die New Yorker Nummer aus dem Notizbuch zu wählen und ihre Stimme zu hören.
Er wusste nicht, was er ihr sagen sollte. War es besser, seine Sorge zu betonen, die Angst, die sie ihm bereitet hatte, oder die Freude, dass es ihm gelungen war, sie heil und gesund wiederzufinden? Vor lauter Unsicherheit verschob er den Anruf, als müsse er erst seinen ganzen Text auswendig lernen und dürfe erst dann wählen, und er betrachtete wieder die Nummer und den dazugehörigen Namen in kyrillischer Schrift, die er nicht lesen konnte, und er fragte sich, was passieren würde, wenn sie auf Russischantworten würde. Auch dieser Gedanke lieà ihn zögern, doch schlieÃlich raffte er sich auf und wählte die Nummer, unter
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