Dunkle Reise
Hoheit.‹
»Wahrscheinlich kann er mehr verlangen, weil sein Wirtshaus am Kai liegt«, meinte ich. Sie zuckte die Achseln. »Sie hätten lieber weitergemacht wie bisher, nicht wahr? Das Leben geführt, das Sie von Kindheit an kannten.«
Sie lächelte wieder, konnte aber ein kleines Kopfnicken nicht verhindern. »Natürlich lebten wir von der Hand in den Mund. Und gefährlich war es. Meister Grames sagt…« Sie brach ab.
»Was?«
»Es ist nicht wichtig.«
Gefährlich? Ich überlegte. »Die Landstraßen sind jetzt sicher genug«, bemerkte ich. Und das musste man zugeben. Nathan war gut in solchen Dingen. Banditentum war schlecht für den Handel, und Gesetzlose zahlten keine Steuern.
»O ja, die Straßen sind in Ordnung. Schlammig im Winter, und das Reisen kann mühsam sein. Aber…« Sie schwieg wieder.
Grames schob seinen Stuhl zurück. »Meine Herren, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht«, verkündete er. »Messire de Parkin, ich werde mich beehren, Sie morgen früh als Erstes zu erwarten. Arienne, ich glaube, dein Zimmer liegt am Kopf der Treppe.«
Sie stand auf, und wir erhoben uns mit ihr und tauschten Verbeugungen. Für mich hatte sie ein Lächeln, und dann war sie fort.
Am nächsten Morgen sah ich sie erst, als ich von der Kleiderkammer der Garnison zurückkehrte, wo man mir eine von Nathans Gardeuniformen angepasst hatte. Ich hatte Recht gehabt. Gelb und Schwarz passen nicht zu meinen Augen.
Der Garnisonskommandeur war anfangs verdrießlich gewesen, dann aber höflich geworden, als er Grames’ Empfehlungsschreiben mit dem fürstlichen Siegel gesehen hatte, das ausdrücklich befahl, dem Überbringer jedwede Hilfe und Unterstützung zu gewähren. In der Garnison gab es drei Männer, die genau meine Größe hatten.
Wir brachten zwei mehr oder weniger vollständige Uniformen mit uns zurück. Einer von Barras’ Gardisten trug sie. Ich schlenderte neben Grames her, die Hände auf dem Rücken, ein Edelmann, der einen Spaziergang unternimmt und sich die Stadt ansieht. Er war unruhig, und ich beobachtete ihn dann und wann von der Seite.
»Ser…« fing er an, als wir an einer Art Gildehaus vorbeikamen. Der Rattenfänger und Kammerjäger, möglicherweise.
»Ein feines Beispiel des neoklassischen Stils, Meister Grames«, bemerkte ich, als ich stehenblieb, die Fassade zu bewundern. »Ein besonders eleganter Ziergiebel.« Ich hatte nur eine undeutliche Vorstellung davon, wie ein neoklassischer Ziergiebel aussehen sollte, wusste nicht einmal, ob es so etwas in Conflans oder anderswo gab.
Grames streifte das Gebäude mit einem flüchtigen Blick. »Sehr imposant«, sagte er. »Ser, ich frage mich…«
»Leider sind die Fresken über dem Portikus ziemlich steif und leblos.«
»Möglicherweise. Meinen Sie, Sie könnten…«
»Dagegen zeigt die Kolonnade sehr feine Proportionen und ein gutes Gefühl für Balance. Insgesamt ist es ein bemerkenswertes Werk, denke ich.«
Grames biss die Zähne zusammen. »Ser, ich hoffe wirklich, dass Sie Ihren Rang wahrnehmen werden, um sich bei Ihrem Herrn einzusetzen.«
Ich wandte den Kopf und musterte ihn. Es war ein Fehler gewesen, ihn wie einen Trottel zu behandeln. Es war mir nicht möglich, so zu tun, als wüsste ich nicht, was er meinte. Ausweichen war meine einzige Hoffnung. »Ich werde mein Möglichstes tun, Messire. Aber Ser de Castro ist sein eigener Herr.«
»Er weiß Ihre Meinungen zu schätzen, Messire de Parkin. Er hält große Stücke auf Sie, ganz allgemein.«
Das konnte heißen, dass er mich mit den Füßen voran in siedendes Öl eintauchen würde, wenn das erforderlich wäre, Silvus de Castro umzustimmen. Ich schluckte.
Er beobachtete mich aufmerksam. »Bitte denken Sie darüber nach, Ser. Ich lege es Ihnen ans Herz.«
Den ganzen Weg zurück zum Gasthaus dachte ich darüber nach. Dachte sehr sorgfältig darüber nach, so sorgfältig, dass ich die Menschenmenge kaum bemerkte, die zum Markttag in die Stadt gekommen war. Von den Ziergiebeln imposanter Gebäude ganz zu schweigen.
Beim gemeinsamen Mittagessen war ich noch immer abgelenkt. Die Gefahr war mir jetzt in ihrer Schärfe bewusst geworden, nicht als eine nebelhafte künftige Möglichkeit, sondern als eine Gegenwart, die neben mir ging und mir ins Ohr flüsterte. Arienne bemerkte es, und ich rang mir ein Lächeln ab. Sie lächelte zurück, aber in ihren Augen lag Sorge. Ich musste an etwas anderes als an die schwierige Lage denken, in der ich mich befand.
Gefahr. Sie hatte gesagt, auch sie sei in
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