Dunkle Schatten (German Edition)
Kokoschansky verfügt zwar über seine eigene
Seite, schließlich gilt man in der heutigen Zeit ohne Webauftritt als virtuell
obdachlos, aber oft fehlt ihm die Zeit, oder er ist einfach zu faul, ständig im
Netz präsent zu sein.
Wer weiß, wie die Geschichte rund um Saller sich noch entwickelt? Ein
unabhängiges Medium kann von unbezahlbarem Vorteil sein. Er beschließt, vorerst
einmal die Finger von dieser heißen Sache zu lassen, allerdings beobachtend im
Hintergrund zu bleiben und im Bedarfsfall zusammen mit Freitag zuzuschlagen.
Dann schaltet er den Fernseher ein. Natürlich ist Sallers Flucht der Aufmacher.
In der 17-Uhr-Nachrichtensendung Zeit im Bild läuft ein Interview mit einem
Polizeisprecher, der sich zu den kritischen Fragen wie ein Aal windet und nur
heiße Luft verströmt. Gegen 18 Uhr ist eine Pressekonferenz angesetzt.
Kokoschansky überlegt, ob er sich dort blicken lassen soll, verwirft gleich
wieder diesen Einfall, macht es sich lieber gemütlich und ist nach wenigen
Minuten eingenickt.
*
Der Anruf via Skype erreicht den Beau mit der stets perfekt geföhnten
Frisur, die dem aktuellen Trend um einige Jahre nachhinkt, in einem
Luxusressort auf der nicht minder mondänen Insel Mustique in der Karibik und
zerstört von einer Sekunde auf die andere drei Wochen pure Erholung.
Seine anfänglich durchaus beachtete politische Karriere begann der
Schwarm aller Schwiegermütter mit knapp dreißig als jüngster
Wirtschaftsminister Österreichs mit der Jahrtausendwende. Die Bevölkerung hatte
endgültig genug von den Sozialdemokraten und deren Machenschaften. Bis sie
merkte, dass die neue Regierung aus Konservativen und Freiheitlichen, hinter
denen sich größtenteils Rechtspopulisten verbargen, um keinen Deut besser war.
Durch vorgezogene Nationalratswahlen war diese Regierung nach sechs Jahren
bereits wieder Geschichte.
Zurück blieb ein Scherbenhaufen auf nationaler und internationaler Ebene.
Im Laufe der Jahre stellte sich heraus, wie schamlos eine Clique rund um diesen
ehemaligen Wirtschaftsminister sich durch fragwürdige Transaktionen und windige
Geschäfte, an denen sich heute die Staatsanwälte und Ermittlungsbehörden die
Zähne ausbeißen, untereinander Aufträge zuschanzte und sich gegenseitig
Millionen an Euro in die eigenen Taschen schob.
Lange fühlte sich Dr. Kurt-Friedrich Midas sicher und sah seine Schäfchen
im Trocknen. Doch in den letzten Monaten wird dieses beschauliche Leben
empfindlich durch die Hartnäckigkeit einiger beherzter Staatsanwälte gestört.
Eine Einvernahme hier, eine Aussage dort. Ansonsten keineswegs medienscheu muss
Midas nun lästige Journalistenfragen beantworten und in TV-Diskussionsrunden
Rede und Antwort stehen.
Endlich ist wieder etwas Ruhe eingekehrt und nun dieser Skype-Anruf, der
Midas wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Dem ungebetenen Anrufer
auf der anderen Seite des Globus zeigt sich auf dem Bildschirm seines Laptops
ein braun gebrannter Midas mit nacktem, durchtrainiertem Oberkörper, dessen
anfängliche beste Laune sofort in düstere Friedhofsstimmung umschlägt, als er
den Grund der Störung erfährt. Sein Gesprächspartner klingt aufgeregt, und sein
Gesicht auf dem Computerschirm spiegelt blankes Entsetzen wider.
»Auf deiner schnuckeligen Insel wirst du wohl nicht die österreichischen
Nachrichten empfangen haben.«
»Sicher nicht! Da weiß ich mir mit meiner Zeit weitaus Besseres
anzufangen.«
»Auch nicht im Internet gestöbert?«
»Nein, habe ich nicht! Du nervst! Sag endlich, warum du mich störst, und
dann klink dich wieder aus. Graciella und ich sind heute zu einem tollen
Barbecue eingeladen. Angeblich sollen auch Mick Jagger, Eric Clapton, Naomi
Campbell und noch einige andere Celebrities antanzen.«
»Ich fürchte, das könnt ihr euch abschminken. Du setzt dich gleich in die
nächste Maschine und kommst auf dem schnellsten Weg zurück nach Wien!«
»Bist du jetzt total verrückt geworden?«
»Er ist draußen! Abgehauen! Abgetaucht! Verschwunden!«
»Wer, verdammt noch mal!«
»Saller! Saller hat die Mücke gemacht.«
»Mach Witze …« Der stets auf Haltung bedachte Midas ist in sich
zusammengesunken und wirkt auf dem Bildschirm wie ein Häufchen Elend.
»Glaub mir, darüber mache ich keine Späße.«
»Der war doch eingebuchtet!«
»Das war er noch bis gestern. Heute ist er es nicht mehr.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Du begibst dich auf dem schnellsten Weg heimwärts. Währenddessen trommle
ich
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