Dunkle Schatten (German Edition)
erst von wenigen Wochen war er in einem Buch über die
kalabrische Mafia, die `Ndrangheta, mehrmals über diesen Namen gestolpert. Nun
steht einer der Capos der Nammoliti-Familie, die außerhalb Italiens besonders
in Bayern aktiv ist, leibhaftig vor ihm, verweigert aber einen Handschlag. Das
ist unter der Würde eines wahren Don oder Paten, einem absolut Fremden, noch
dazu einem Pressemenschen, die Hand zu geben.
»Ich sehe an deinem Gesicht«, lächelt Saller, »du erkennst, wen du vor dir
hast und da du ein exzellenter Journalist bist, wird dir auch dieser Herr
geläufig sein. Ein Landsmann von mir, Branko Daramci ć .« Auch dieser geheimnisvolle Mann folgt dem Beispiel des Italieners und
verzichtet auf ein Händereichen.
»Wenn du dich ein wenig erfrischen willst«, bietet Saller an, »wird dich
ein Angestellter in ein Badezimmer führen.«
»Ja, das wäre nett.«
»Gut.«
Kaum im Badezimmer, blickt er in den Spiegel und murmelt: »Warum sitze
ich nicht auf meinem Rad, gondle durch die Gegend oder sitze im Kaffeehaus?
Oder noch besser, ich kümmere mich um meinen Jungen und Lena. Nein, ich
Arschloch bin irgendwo im tiefsten Montenegro, habe gerade in die Kloschüssel
eines Mafiabosses gepinkelt, überall waffenstarrende Typen, und zwei Kroaten
sind auch dabei, und ich habe nicht den leisesten Schimmer, was los ist, außer
dass mir der Arsch auf Grundeis geht.«
*
Lena beschließt, sich einen geruhsamen Fernsehabend zu gönnen. Da
Kokoschansky telefonisch nicht erreichbar ist, versuchten einige Journalisten,
über sie an ihn heranzukommen, doch sie verweigert alle Interviewanfragen.
Weder die Bundespolizeidirektion noch das BKA oder ihre unmittelbaren
Vorgesetzten meldeten sich bei ihr, was sie zwar sehr goutiert, ihr aber auch
Kopfzerbrechen bereitet. Sie ist sich sicher, dass die Sache noch lange nicht
ausgestanden ist.
Auf Druck der Medien ließen sich sowohl der Polizeipräsident wie auch die
Innenministerin zu Statements herab, in denen sie mit dürren Worten mitteilten,
dass umfangreiche Untersuchungen im Gange wären und sie noch keine konkreten
Ergebnisse vorweisen können. Auch BKA-Chef Edmund Katterka leierte die gleiche
Sprechblase herunter, bestätigte, dass Lackner und Erharter bis zur endgültigen
Klärung dieses bedauerlichen Vorfalls vom Dienst suspendiert und
Disziplinarverfahren eingeleitet worden sind.
Der Anruf kam völlig unerwartet. Sonja fragte an, ob sie auf einen Kaffee
vorbeikommen dürfe.
Günther übernachtet bei einem Kindergartenfreund, und ihr ist ein
bisschen langweilig. Erfreut sagte Lena sofort zu.
Nun sitzen die beiden Frauen auf dem Sofa im Wohnzimmer.
»Koko ist gar nicht hier?«, erkundigt sich seine Exfrau. »Günther sagte
mir, dass sein Papa wegfahren muss. Wo treibt er sich denn herum?«
»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich wieder in geheimer Mission
unterwegs«, antwortet Lena nicht ganz wahrheitsgemäß.
Obwohl die Frauen sich sehr gut verstehen, will Lena ihr die Wahrheit
nicht auf die Nase binden.
»Warum fragst du, Sonja?«
»Nur so.«
»Und wie läuft es sonst bei dir, Sonja? Alles in Ordnung?«
»Nun … ach lassen wir das.«
»Na, komm schon, dich bedrückt doch etwas. Raus damit, wir haben uns doch
noch immer alles sagen können.«
Sonja greift nach einer Zigarette, schenkt sich eine weitere Tasse Kaffee
ein. »Ich weiß es wirklich nicht, ob ich dir das sagen soll.«
»Ist irgendetwas mit Günther?«
»Nein, dem geht es prächtig. Im Gegensatz zu seiner Mutter.« Sie zieht
fest an ihrer Zigarette, trinkt und fügt leise hinzu. »Es hat mit Koko zu tun.«
»Was ist los?«
»Wir haben wieder unsere nie erloschenen Gefühle füreinander entdeckt.
Dafür fühle ich mich dir gegenüber schlecht.«
Lena traut ihren Ohren nicht. »Wie bitte? Was hast du eben gesagt?«
»Es tut mir unendlich leid, aber es ist so.«
»Seit wann läuft wieder etwas zwischen euch?«
»Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, dass Koko wieder mehr für mich
empfindet, aber ich wollte es wegen dir nicht zulassen. Als er zuletzt Günther
zurückbrachte, duschte er noch bei mir und bat mich, ihm den Rücken zu
schrubben. Zuerst sträubte ich mich dagegen, aber das Verlangen nach ihm war
stärker.«
»Und …«, Lena schluckt und kämpft mit den Tränen.
»… ja, danach haben wir zusammen geschlafen. Ich weiß, es schmerzt und
verletzt dich tief, aber ich wollte es dir selbst sagen und nicht, dass du es
vielleicht zufällig erfährst oder
Weitere Kostenlose Bücher