Dunkle Tage
nich’ mehr mitansehen! Und immer die Angst, wieder auf die Straße geschmissen zu wer’n! Curts Vater hätte das nich’ überlebt. Und dann auch noch der Schuldschein!“
Gregor warf Hendrik einen warnenden Blick zu, den dieser überflüssig fand. Trotz intensiver Suche blieb der Schuldschein verschwunden. Mittlerweile waren sie schon geneigt gewesen anzunehmen, dass Anton sich geirrt hatte. Und hier war nun der Beweis, dass der Schein tatsächlich existierte!
„Max Unger hat Ihnen Kredit gegeben“, soufflierte Gregor, um zu verhindern, dass Frau Broschecks Redefluss versiegte.
„Zu Wucherzinsen. Die ham uns noch tiefer ins Elend gestürzt. Und immer wieder hat er von Curt Extraarbeit verlangt, unbezahlte. Als Dank, dass er so großzügig gewesen is’. Dabei hat Curt schon bis zum Umfall’n geschuftet.“
„Sie sind also mit der Absicht, Max Unger umzubringen, zu seiner Villa gegangen.“
„Ich wusste, er sitzt abends immer allein in sei’m Arbeitszimmer. Ich bin zum Nebengebäude und hab’ geklingelt …“
„Wann?“
„Weiß nich’ … noch nich’ halb neun, glaube ich.“
„Sie haben Herrn Unger erst eine Zeit lang beobachtet, richtig? Vom Garten aus, hinter einem Busch.“
„Ich weiß doch gar nich’, wo sein Arbeitszimmer is’. Bloß, dass es nebenan is’. Das stand mal inner Zeitung. Und dass er da immer bis nachts sitzt. Außerdem bin ich gleich an die Tür, ohne mich zu besinn’, weil ich Angst hatte, ich tu’s nich’, wenn ich zu viel nachdenke.“
Sie wartete auf eine neuerliche Unterbrechung, und als keine erfolgte, fuhr sie fort: „Ich hab’ also geklingelt, er macht auf und schnauzt mich gleich an, obwohl ich ihn doch bloß bitte, uns noch mal Aufschub zu geben. Ich hab’ ihn wirklich gehasst, wie ich noch keinen gehasst habe. Aber ich konnt’s nich’. Ich hatte das Messer inner Hand, hinter mei’m Rücken, aber es ihm ’reinstoßen, das konnt’ ich einfach nich’. Da hab’ ich’s weggeworfen und bin wieder nach Hause.“
„Wohin haben Sie das Messer geworfen?“
„Irgendwo. Ins Gebüsch.“
„Warum haben Sie es nicht behalten?“
„Weiß nich’ … ich wollt’ nix mehr damit zu tun ham.“
„In welcher Verfassung war Herr Unger? Wie hat er sich benommen?“
„Großkotzig, wie immer.“
„Wirkte er, als hätte er jemanden erwartet? War er nervös? Furchtsam?“
„Wenn Sie mich fragen, war der schon sauer, bevor er mich geseh’n hat. Als hätt’ er Streit gehabt oder so.“
„Sauer? Nicht ängstlich? Vorsichtig?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Haben Sie irgendwas Verdächtiges bemerkt?“
Wieder Kopfschütteln.
„Gut, Sie haben also das Messer weggeworfen und sind nach Hause gegangen. Zu Ihrem Mann.“
„Er weiß von nix“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich hab’ ihn unterwegs getroffen, und wir sind zusamm’ zurückgegangen. Er hat keine Ahnung, was ich vorhatte.“
Da Hendrik wusste, dass sie log, konnte er ihr Verhalten studieren. Sie knetete ihre Hände und sah Gregor nicht an. Sie war keine sonderlich geschickte Lügnerin. Mehr denn je war Hendrik von ihrer Unschuld überzeugt.
„Lassen Sie mich jetzt geh’n?“, fragte sie ohne Hoffnung.
„Das kann ich nicht. Sie stehen noch immer unter Mordverdacht.“
Sie sank in sich zusammen, als sei ihr letztes bisschen Kraft aufgebraucht.
Hendrik konnte es nicht mit ansehen. „Anton geht es gut“, sagte er. „Ich habe ihm die Universitätsbibliothek gezeigt.“
Dankbar sah sie zu ihm herüber. „Er liebt Bücher. Er is’ ein kluger Junge.“
Gregor rief einen Beamten herein und ließ Barbara Broscheck wieder abführen. Dann bemerkte er Hendriks finstere Miene. „Du bist nicht mit mir zufrieden?“, fragte er und blinzelte dabei mit den Augenlidern.
„Warum hast du ihr die entscheidende Frage nicht gestellt?“
„Ah, es ist dir also aufgefallen!“ Zufrieden rieb sich Gregor die Hände. „Ich mag ja nicht die Prinzipien der Logik studiert haben, aber ich erkenne Widersprüche in einer Aussage, wenn ich sie höre. Wir wissen durch die Kinder, mit denen du gesprochen hast, dass Frau Broscheck lügt, wenn sie behauptet, sie sei gemeinsam mit ihrem Mann nach Hause gekommen. Warum schützt sie ihn also, wenn er doch angeblich von nichts weiß?“
Hendrik war gebührend zerknirscht „Ich dachte, du hättest es nicht bemerkt. Warum hast du sie nicht gefragt?“
„Soll sie glauben, sie hätte uns an der Nase herumgeführt. Das gibt mir Zeit für ein paar Ermittlungen.
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