Dunkle Tage
schnauzte der und deutete auf ein großes Schild: Wer weitergeht wird erschossen.
„Ich möchte Hauptmann Pabst sprechen.“
„Das wollen viele. Scheren Sie sich fort, ehe ich Ihnen Beine mache.“
„Es ist dringend!“
„Klar, und was ich sage, ist auch dringend. Deswegen bedanken Sie sich brav, drehen sich um und machen, dass Sie wegkommen, ehe ich Ihnen ein Loch in den Schädel stanze!“
„Sie werden Ihren Arsch in Bewegung setzen und mich melden, sonst könnte es nämlich passieren, dass Hauptmann Pabst Ihnen denselben aufreißt!“
Hendriks Unerschrockenheit zeigte Wirkung. „Wer sind Sie?“, fragte der Soldat, zwar immer noch grob, aber bereits mit erkennbarer Bereitschaft, in unterwürfigen Ton zu verfallen, sollte sich sein Gegenüber als jemand mit größerer Autorität herausstellen.
„Professor Hendrik Lilienthal. Sagen Sie Hauptmann Pabst einfach, ich komme in der Angelegenheit Unger.“
Der Soldat musterte ihn noch einmal misstrauisch. „Sie warten hier!“, sagte er, gab einem anderen Soldaten ein Zeichen, Hendrik im Auge zu behalten, und marschierte in das Reichstagsgebäude.
Nach einer Weile kam er wieder heraus. Hendrik klopfte das Herz. Er war sich gar nicht sicher, ob seine Taktik Erfolg haben würde. Erst als der Soldat „Mitkommen!“, sagte, gestattete er sich ein kurzes Aufatmen.
Innerhalb des Reichstages herrschte hektisches Kommen und Gehen, was den Eindruck von Ziellosigkeit noch verstärkte. Alle Menschen schienen sich mit ungeheurer Energie im Kreis zu bewegen, wie eine gewaltige Maschinerie im Leerlauf.
Der Soldat führte ihn in einen Büroraum, salutierte vor einem Offizier, meldete Hendrik an und entfernte sich.
Der Offizier, ein kleiner Mann, der ständig nicht vorhandene Fussel von seiner Uniform zupfte, machte keine Anstalten, ihn zur Kenntnis zu nehmen.
„Hauptmann Pabst?“, erkundigte sich Hendrik unsicher.
Endlich würdigte der Offizier ihn eines Blickes. „Major! General von Lüttwitz hat mich zum Major befördert!“
Ah, dachte Hendrik, inzwischen machen sie hier alles selbst: Gesetze, Posten, Beförderungen … Nur als regierte Masse wird das Volk vorerst noch gebraucht.
„Sie wollten mich in einer Sache Unger sprechen?“
Hendrik beschloss, dass er nichts zu verlieren hatte, wenn er versuchte, den Mann zu überrumpeln. „Ich wüsste gern mehr über Ihren Besuch bei Max Unger am Abend seiner Ermordung.“
Pabst sah ihn verblüfft an, dann lachte er los. „Sie sind ein Komiker, Professor! Leider muss ich Sie enttäuschen: Ich kannte den Herrn nicht, jedenfalls nicht persönlich. Und mit Sicherheit habe ich ihn nicht am Tage seines Todes aufgesucht.“
Zu Hendriks Ärger war dem unbeteiligten Gesicht des Majors kein Anzeichen zu entnehmen, aus dem sich Schlüsse hätten ziehen lassen. „Sie werden entschuldigen, wenn ich Ihnen nicht glaube. Zufällig kenne ich die Briefe, die Sie Herrn Unger geschrieben haben.“
„Tatsächlich? Und was sollen das für Briefe sein?“
Hendrik zitierte einige Stellen aus dem Gedächtnis.
„Weshalb nehmen Sie an, dass diese Briefe von mir stammen?“
„Weil sie von Ihnen unterschrieben waren.“
Zu seinem Leidwesen tat der Major ihm nicht den Gefallen, zu protestieren und dadurch zu verraten, dass er die wirkliche Unterschrift kannte. Stattdessen grinste er, weil er den Trick durchschaute. „Wie kann das sein, wo ich doch keinerlei Briefe an Herrn Unger geschickt habe?“
„Mir ist aber bekannt, dass Thor Ihr Deckname ist, derselbe Name, der unter eben jenen Briefen steht.“
Pabsts Gesicht verzerrte sich vor Wut, und der Wechsel erfolgte so jäh, dass es Hendrik kalt den Rücken hinunterlief. Zum ersten Mal begriff er, wie gefährlich dieser Mann war. „Was immer Ihnen Leander Sebald erzählt hat, Sie sollten dem keinen großen Wert beimessen.“
Hendrik schaltete sofort. „ Sie haben mir den Spitzel angehängt!“
Major Pabst schwieg, aber das Grinsen, das übergangslos auf sein Gesicht zurückgekehrt war, sagte genug. Er beugte sich nach vorn. „Sehen Sie sich vor! Meinetwegen können Sie bei den Broschecks rumschnüffeln, soviel Sie wollen. Aber bleiben Sie mir vom Leib! Es wäre besser für Ihre Gesundheit.“
Hendrik schluckte. Pabst und seine Leute waren derzeit die unumschränkten Herrscher der Stadt und konnten faktisch tun und lassen, was sie wollten. „Soll das eine Drohung sein?“
„Nur ein guter Rat.“
„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mich so wichtig nehmen.“
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