Dunkle Tage
willst.“
„Herausfinden, ob du trotz unserer Meinungsverschiedenheit noch mit mir redest und nicht etwa vorhast, deinen Familiennamen zu ändern.“
„Wirf mal einen Blick aus dem Fenster, dann wirst du feststellen, dass sich die Welt keineswegs um dich dreht.“
Ein gutes Zeichen! Wenn Gregor stichelte, war er nicht länger verärgert.
Während sie ein paar Sätze über den Putsch wechselten und ihre Einschätzung der Lage in Berlin austauschten, sah Hendrik nach den Blumentöpfen auf der Fensterbank. Seit geraumer Zeit versuchte sein Bruder, Gewürzkräuter zu ziehen. Angesichts dessen, was ihn da traurig über den Topfrand hinweg anguckte, würde ein Erfolg noch lange auf sich warten lassen. „Ich verrate dir ein streng gehütetes Geheimnis“, sagte er. „Pflanzen muss man ab und zu gießen!“
„Wenn ich zurück bin“, brummte Gregor und setzte seinen abgegriffenen Filzhut auf.
Hendrik beschloss, ihm nichts von seinem Verfolger zu erzählen. Es hätte ihn nur in dem Vorsatz bestärkt, ihn aus allem herauszuhalten. „Gibt’s was Neues?“, erkundigte er sich stattdessen.
Gregor schüttelte den Kopf.
„Wie geht es Frau Broscheck?“
„Bin gerade auf dem Weg zu ihr. Bis jetzt hat sie keinen Ton gesagt, aber ich erhielt eben die Nachricht, dass sie mich zu sprechen wünscht. Das Wochenende in Untersuchungshaft hat sie wohl mürbe gemacht.“
„Funktionieren denn eure Telefone noch?“
„Zum Glück. Nur der private Telefonverkehr wurde gesperrt. Aber der Straßen- und Schienenbetrieb steht still, und ein Motorrad ist auch nicht aufzutreiben, ich muss also per Fahrrad nach Moabit.“
„Nimmst du mich mit?“
Gregor stemmte die Hände in die Hüften und sah seinen Bruder entrüstet an. „Du traust dich was! Zum Dank für deine Dreistigkeit soll ich dich auch noch am Verhör teilhaben lassen?“
„Ich mache auch wieder deinen Schriftgelehrten.“
Gregor zögerte, dann nickte er. „Keine Informationen an Fräulein Escher!“
Sie vermieden es, den Weg über das Regierungsviertel zu nehmen, um nicht unnötig von Putschisten belästigt zu werden, und fuhren stattdessen auf der anderen Seite der Spree. Es war geradezu unheimlich, weder Bahnen noch Omnibussen zu begegnen. Hin und wieder tauchte eine Pferdedroschke oder ein überfüllter Lastwagen auf, auf dessen Seitenbrettern mit Kreide das Reiseziel geschrieben stand. Auf der Ladefläche drängten sich Dutzende von gut gekleideten Geschäftsleuten, die hofften, zu einer akzeptablen Zeit an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Die Fuhrunternehmer nutzten die Notlage aus und verlangten Fantasiepreise.
„Es hat mehrere Zusammenstöße in der Nacht gegeben“, berichtete Gregor, während sie am Hackeschen Markt in die Oranienburger Straße einbogen. Er schnaufte, weil er aus der Übung war. „Außerdem fahren bis auf Milch- und Kohletransporte keine Fernzüge mehr.“
„Die Post kam heute Morgen auch nicht. Und zumindest in meiner Wohnung gibt es weder Strom noch Wasser noch Gas. Wie sieht es bei dir aus?“
„Ich glaube, in den meisten Bezirken funktioniert nichts mehr.“
Auf der Karlstraße brauste ein Wagen der Technischen Nothilfe unter dem Schutz einiger Soldaten an ihnen vorbei. Zwischen den Männern auf der Ladefläche erkannte Hendrik auch einen seiner Studenten. Arbeiter, die am Straßenrand standen, ergriffen Pflastersteine und warfen damit nach den Streikbrechern, trafen jedoch nicht.
Hendrik erzählte, welche Überlegungen er hinsichtlich einer finanziellen Beteiligung Max Ungers am Putsch angestellt hatte, und musste feststellen, dass er seinem Bruder damit nichts Neues verriet.
„Er unterstützt Pabsts Truppe bereits seit Jahren“, berichtete Gregor. „Ich habe in Erfahrung gebracht, wohin verschiedene Summen von seinem Bankkonto aus geflossen sind. Wahrscheinlich stammt auch die Belohnung an die Bürgerwehr für die Gefangennahme von Liebknecht und Luxemburg von ihm.“
„Belohnung? Wie viel war das?“
„1.700 Mark. Für jeden!“
„Donnerwetter! Mit ehrlicher Arbeit verdient man so viel allerdings nicht.“
Der Lehrter Bahnhof, in dem die Züge von Hamburg, Bremen und Hannover endeten, war, wie alle Bahnhöfe, von Stacheldrahtzäunen umgeben. Überall an den Straßenecken waren Maschinengewehre und Geschütze in Stellung gebracht. Mit Totenköpfen bepinselte Panzerautos fuhren umher. Drüben, auf der anderen Seite der Spree, konnte man patrouillierende Posten vor dem Reichsministerium des Inneren
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