Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
Pein raste durch seinen Körper. Kyrian brüllte auf, während die anderen lachten. Sie stopften ihm den abgeschni t tenen Körperteil in den Mund, wo er noch ein letztes Mal zuckte. Kyrian schmeckte Blut, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken vor dem Eingang der Höhle, den Blick auf den weit entfernten Vulkan gerichtet, der Lava und Asche ausstieß und oftmals den Himmel verfinsterte. De s sen Grollen vernahm er bis hierher, und manchmal fühlte er, wie die Erde bebte. Durch den glutroten Morgenhimmel schien der feue r spuckende Berg mit den Sternen zu verschmelzen. Leider kon n te Kyrian den grandiosen Ausblick nicht genießen, da ihm schlagartig bewusst wurde, was sich eben abgespielt hatte. Dort, wo einmal sein Schwanz gewesen war, pochte und brannte es höllisch. Der Schmerz lähmte ihn, ließ ihn kaum atmen.
Grinsend hielt ein Krieger seinen abgeschnittenen Körperteil in der Hand und warf ihn über den Felsvorsprung in die Tiefe.
Hoffentlich machten sie schnell. Er wollte nur noch ste r ben.
Als er die Klinge an einem seiner Hörner spürte, regte er sich nicht. Es war klein, nicht mehr als ein Stummel, dennoch hochsens i bel. Kyrian würde die Schmerzen nicht überleben, wenn sie es a b schnitten. Doch er war bereit, seiner Mutter zu folgen.
»Der König kommt!«, rief einer.
Sofort ließen die Soldaten von ihm ab und knieten sich in den Staub, die Häupter gesenkt.
Schwerfällig drehte Kyrian den Kopf und musterte den eing e troffenen Elfen, der sich, die Arme in die Hüften gestemmt, vor ihnen aufbaute. Er war größer als die anderen, trug eine prächtige Rüstung aus Silber und ein Schwert, das in der Morgensonne funke l te, weil es mit unzähligen Diamanten besetzt war. Sein langes weißes Haar fla t terte im Bergwind.
Der König! Das Oberhaupt dieser Bastarde. Seine Stiefel berührten beinahe Kyrians Nase, so dicht stand er vor ihm. Würde er es zu Ende bringen? Wenn Kyrian die Kraft hätte, würde er ihn anflehen, schnell zu machen.
»Lasst ihn am Leben!«, befahl dieser stattdessen. »Ich habe euch ausdrücklich befohlen, dass ich die Kinder erst sehen will.«
»Was wollt Ihr mit ihnen, Mylord?«, fragte ein Soldat vorsichtig. »Sie sind Abschaum.«
»Der da«, spie der König aus und drückte Kyrian die Schwertklinge gegen die nackte Brust, »kann uns vielleicht nützlich sein.«
»Wobei, Mylord?«
Kyrians Herz trommelte hart gegen den Brustkorb, als sich der Anführer zu ihm herunterbeugte und zischte: »Im Kampf gegen die Hexen und Magier .«
Kapitel 1 – Kyrian
K
yr riss die Augen auf. Die Laken klebten an seinem schweißnassen Körper, der Puls klopfte hart in den Ohren und hämmerte schmerzhaft in seinem Sch ä del. Wie so oft, wenn er aus dem immer wiederkehrenden Grauen e r wachte, von dem er seit über zwei Jahrzehnten träumte, wusste er für einige Sekunden nicht, wo er sich befand.
Das war nicht gut.
Menschenwelt … Seufzend massierte er sich die Schläfen und blinzelte. Ein Zimmer. Sein Zimmer, sein karg eingerichtetes Apar t ment im obersten Stockwerk eines gläsernen Hochhauses in London. Dort besaß die Hexe Noir Hadfield eine Detektei für übersinnliche Fälle, die sie vor ein paar Monaten gegründet hatte. Hier lebten auch Vincent, Noirs Partner und Kyrians Klanführer, sowie drei andere ihrer Bruderschaft: Nicolas, Dominic und Akilah. Der Bruderschaft der Ausgestoßenen. Derjenigen, die keiner haben wollte. Weil sie anders waren. Nichts Halbes, nichts Ganzes oder einfach une r wünscht. Daher nannten sich die Hybriden auch Goyles, nicht Ga r goyles.
Kyr streckte sich, bis seine Gelenke knackten, und rieb seine Stirn. Diese verdammten Kopfschmerzen hatte er immer nach den Trä u men. Reflexartig griff er an sein Steißbein, wo sein Schwanzstummel unangenehm pochte. Er hasste das daumendicke Überbleibsel, das ihn daran erinnerte, wer er war. Außerdem sah es lächerlich aus.
Schwerfällig stand er auf, schnappte sich eine schwarze Cargohose sowie ein T-Shirt und ging ins Badezimmer.
Als er eine halbe Stunde später aus der Wohnung lief, stieß er im Flur beinahe mit Noir zusammen, obwohl sie kaum zu übersehen war. Kyr sprang zur Seite, um sie nicht umzustoßen, und rannte d a für fast in ihren Jagdhund. Papiere, Dokumentenmappen und seine Sonnenbrille flogen zu Boden.
Noir bückte sich. Sie war sehr groß für einen Menschen, so groß wie er, und ihr silberweißes Haar reichte ihr bis zur Hüfte.
Weitere Kostenlose Bücher