Dunkle Wasser
Logan!
Er hatte mich also doch nicht vergessen! Ich bedeutete ihm doch etwas! Zum ersten Mal nahm ich den Brieföffner zur Hand. Was für eine schöne Schrift Logan hatte, nicht so krakelig wie Tom oder so klein und pingelig wie Vater.
Liebe Heaven,
Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich um Dich gesorgt habe.
Gott sei Dank, hast Du geschrieben. Nun, da ich weiß, daß es Dir gutgeht, kann ich wieder schlafen.
Du fehlst mir so, daß es mir direkt weh tut. Wenn der Himmel sonnig und blau ist, dann sehe ich Deine Augen vor mir, aber dann vermisse ich Dich noch mehr.
Um ehrlich zu sein, meine Mutter hat versucht, Deinen Brief vor mir zu verstecken, aber ich fand ihn eines Tages in ihrem Schreibtisch, als ich nach Briefmarken suchte. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich von meiner Mutter wirklich enttäuscht. Wir hatten einen Streit, und ich habe sie gezwungen zu gestehen, daß sie mir Deinen Brief vorenthalten wollte. Sie gibt zu, daß sie nicht richtig gehandelt hat und hat mich und Dich gebeten, ihr zu verzeihen.
Fanny sehe ich oft, und sie sieht wirklich sehr gut aus. Sie ist eine furchtbare Angeberin, und ehrlich gesagt, habe ich das Gefühl, daß auf den Reverend da einiges zukommt.
Fanny sagt, sie sei nicht verkauft worden! Sie behauptet, daß Dein Vater seine Kinder verschenkt hat, um sie vor dem Hungertod zu bewahren. Ich möchte am liebsten keinem von Euch beiden glauben, aber Du hast mich noch nie angelogen, und Dir glaube ich. Deinen Vater habe ich nicht gesehen, aber Tom. Er ist in den Laden gekommen und hat nach Deiner Adresse gefragt. Dein Großvater lebt jetzt in einem Altersheim in Winnerrow.
Ich habe keine Ahnung, wie ich Dir helfen kann, Keith und Unsere-Jane zu finden. Bitte, schreibe mir wieder. Ich bin bis heute niemandem begegnet, den ich so gerne mag wie Heaven Leigh Casteel.
Und bis ich Dich wiedersehe, werde ich nicht einmal anfangen, mich nach so jemandem umzuschauen.
Wie immer in Liebe
Dein Logan
Ich weinte vor Glück.
Kurz nachdem ich Logans Brief erhalten hatte, wurde ich sechzehn Jahre alt. Ich war mittlerweile klug genug, um nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und sagte Cal und Kitty kein Wort davon. Aber Cal hatte es irgendwie doch herausbekommen und machte mir ein wunderbares Geschenk –
eine Schreibmaschine!
»Sie soll dir bei den Hausaufgaben behilflich sein.« Er strahlte vor Freude über meine Begeisterung. »Nimm einen Schreibmaschinenkurs in der Schule. Es kann nie schaden, Maschine schreiben zu können.«
Aber die Schreibmaschine, so sehr ich mich darüber freute, war nicht mein schönstes Geschenk an meinem sechzehnten Geburtstag. Nein, es war die riesengroße Glückwunschkarte mit einem Gedicht, in der ein seidenes Kopftuch und ein Brief von Logan lagen.
Trotzdem sehnte ich mich auch danach, von Tom etwas zu hören. Er hatte nun meine Adresse; warum schrieb er dann nicht?
In der Mädchenschule gelang es mir, einige Freundinnen zu finden, die mich öfter zu sich nach Hause einluden. Keine verstand, warum ich immer absagte. Verzweifelt bemerkte ich, daß sie sich nach und nach zurückzogen. Wie konnte ich ihnen nur erklären, daß Kitty mir schlankweg verbot, Freunde zu haben, die vielleicht meine Zeit für die tägliche Hausarbeit schmälern würden? Die Jungens, die sich mit mir verabreden wollten, wies ich ebenfalls zurück, allerdings aus etwas anderen Gründen. Ich wollte nicht mit ihnen, sondern mit Logan ausgehen. Ich wartete auf Logan, und ich hatte keine Zweifel, daß er das gleiche tat.
Ich schuftete im Haushalt, aber nie blieb es sauber und ordentlich, da Kitty mit ihrer Achtlosigkeit innerhalb kürzester Zeit die Arbeit von zehn Stunden zunichte machte. Die Pflanzen, die ich goß und düngte, gingen vor zuviel Pflege ein, und Kitty beschimpfte mich. »Jeder Idiot kann Pflanzen pflegen, jeder Idiot!«
Sie entdeckte die Wasserflecken auf ihren Seidenblumen und ohrfeigte mich, weil ich mich wie das Lumpenpack aus den Bergen benahm. »Du denkst bloß an Jungs, ich seh’s deinen Augen an!« schnarrte sie, als sie mich eines Nachmittags beim Nichtstun erwischte. »Sollst nicht im Wohnzimmer sitzen, wenn wir nicht da sind! Der Fernseher ist verboten, wenn du allein bist! Du hast zu arbeiten, verstehst du?«
Jeden Morgen stand ich früh auf, um für Kitty und Cal das Frühstück vorzubereiten. Selten kam sie zum Abendessen vor sieben, acht Uhr nach Hause, und um die Zeit hatten Cal und ich schon gegessen. Merkwürdigerweise störte sie
Weitere Kostenlose Bücher