Dunkle Wasser
bin sicher, Du wirst mir verzeihen, wenn Du die guten Nachrichten erfährst. Du kennst meinen Namen nicht, und ich werde diesen Brief auch nicht unterschreiben. Ich bin die Frau, die mit ihrem Mann zu Euch gekommen ist, um die Mutter Deiner lieben kleinen Schwester und Deines kleinen Bruders zu werden.
Du erinnerst Dich, daß ich versprochen habe, Dir zu schreiben.
Ich weiß noch, daß Du sehr besorgt um Deinen Bruder und Deine Schwester warst, und ich bewundere und achte Dich deswegen. Beiden Kindern geht es sehr gut, und ich glaube, sie haben ihre neue Familie akzeptiert und vermissen ihre Familie in den Bergen nicht mehr so sehr.
Dein Vater wollte mir Deine Adresse nicht geben, aber ich habe darauf bestanden, da ich mein Versprechen halten wollte.
Unsere-Jane, wie Du sie immer genannt hast, hat sich von der Operation einer Zwerchfell-Hernie gut erholt. Du kannst ja in einem medizinischen Wörterbuch nachsehen, was dieses liebe Kind so schwach und kränklich gemacht hat. Es wird Dich bestimmt freuen zu hören, daß sie jetzt gesund ist, mit gutem Appetit ißt und langsam zunimmt. Jeden Tag bekommen sie und Keith so viel Obstsaft, wie sie wollen. Und ich lasse ein Nachtlämpchen in jedem ihrer Zimmer brennen. Sie gehen in eine gute Privatschule und werden jeden Tag hingefahren und wieder abgeholt. Beide haben viele Freunde.
Keith zeigt großes künstlerisches Talent und unsere liebe Jane singt gern und hört gerne Musik. Sie erhält Musikunterricht, und Keith hat eine eigene Staffelei und alles, was er zum Zeichnen und Malen benötigt. Er hat besonders großes Talent für Tierzeichnungen.
Ich hoffe, ich habe alle Deine Fragen beantwortet und Dir alles erzählt, so daß Du Dir keine Sorgen mehr machen mußt. Mein Mann und ich lieben die beiden Kinder wie unsere eigenen.
Und ich glaube, daß sie uns auch lieben.
Dein Vater hat mir gesagt, daß er für jedes seiner Kinder ein gutes Zuhause gefunden hat, und ich hoffe, es stimmt.
In einem gesonderten Umschlag schicke ich Dir ein paar Photos von Deinem Bruder und Deiner Schwester.
Mit den besten Wünschen
R.
Sie hatte den Brief nur mit einem Anfangsbuchstaben unterschrieben, ohne Adresse. Der Brief war in Washington aufgegeben worden. Waren sie von Maryland umgezogen?
Gott sei Dank, hatten die Ärzte herausgefunden, was Unserer-Jane fehlte, und sie geheilt!
Lange Zeit saß ich bloß da und dachte an Keith und Unsere-Jane und an die aufmerksame Dame, die mir geschrieben hatte.
Immer und immer wieder las ich den Brief durch und wischte mir dabei die Tränen aus den Augen. Es war wunderbar zu erfahren, daß es Jane und Keith gut ging – aber es war ganz und gar nicht schön zu hören, daß sie mich und Tom vergessen hatten.
»Heaven«, sagte Cal plötzlich, »willst du lieber so auf dem Boden sitzen bleiben und den ganzen Tag Briefe lesen oder lieber ins Kino gehen?«
Sofort sprang ich auf, zeigte ihm den Brief und erzählte ihm den Inhalt, obwohl er ihn selber gerade durchlas. Er schien sich ebenso zu freuen wie ich. Dann sah er seine eigene Post durch.
»Da ist ja noch ein Briefumschlag für eine Miß Heaven Leigh Casteel«, sagte er mit einem breiten Grinsen und überreichte mir einen schweren, braunen Umschlag.
Darin befanden sich etwa ein Dutzend Schnappschüsse und drei Photos, die ein richtiger Photograph gemacht hatte.
O mein Gott – Schnappschüsse von Keith und Unserer-Jane auf einer Wiese hinter einem großen, schönen Haus. »Polaroid-Photos«, sagte Cal und sah sich die Bilder über meine Schulter an. »Was für nette Kinder.«
Ich starrte auf die hübschen Kinder in ihrer teuren Kleidung, die beide in einem überdachten Sandkasten saßen. Hinter ihnen befanden sich ein Schwimmbecken und Gartenmöbel. Das Ehepaar von damals saß dort und lächelte Keith und Unsere-Jane liebevoll an. Dort wo sie waren, war gerade Sommer. War es in Florida? In Kalifornien? Arizona? Ich betrachtete eingehend die anderen Schnappschüsse, auf denen Unsere-Jane lachend auf einer Schaukel saß und von Keith geschaukelt wurde. Andere Photos zeigten sie in ihrem hübschen Schlafzimmer mit all ihren Puppen und Spielsachen: Unsere-Jane schlafend in ihrem Bettchen, über das ein rosa Baldachin gespannt war. Keith in seinem blauen Zimmer, vollgestopft mit Spielsachen und Bilderbüchern. Dann öffnete ich eine Photomappe aus Karton und sah Unsere-Jane fein angezogen, in rosa Organdy mit Rüschen, ihre Haare waren gelockt und sie sah wie ein kleiner Filmstar aus; und in
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