Dunkle Wasser
Vater, den ich immer gewollt und gebraucht hatte, der mich nicht nur liebte, sondern mich auch akzeptierte. Er verstand mich, er kritisierte mich niemals, und, gleichgültig was es war, er stand mir immer zur Seite. Aber bei Kitty half das nicht viel.
»Ich schreibe und schreibe, aber Fanny antwortet nicht, Cal.
Ich habe ihr fünf Briefe geschrieben, seitdem ich hier bin, und sie hat mir nicht einmal eine Postkarte geschickt. Würdest du deine Schwester so behandeln?«
»Nein«, sagte er mit einem traurigen Lächeln, »aber meine Familie schickt mir keine Briefe, also schreibe ich ihr auch nicht – jedenfalls nicht, seitdem ich mit Kitty verheiratet bin, die meine Zuneigung ganz für sich beansprucht.«
»Tom schreibt auch nicht, obwohl ihm Logan meine Adresse gegeben hat.«
»Vielleicht hat er nicht die Zeit, um Briefe zu schreiben, oder Buck Henry läßt es nicht zu, daß Tom seine Briefe abschickt.«
»Aber Tom könnte doch sicherlich einen Weg finden…?«
»Wart’s nur ab. Eines Tages findest du einen Brief von Tom in unserem Postkasten, dessen bin ich mir ganz sicher.«
Ich liebte ihn dafür, daß er so sprach; daß er mir das Gefühl gab, ich sei hübsch; daß er mir sagte, ich sei eine gute Köchin; und daß er meine Hausarbeit zu würdigen wußte. Kitty hingegen sah nur, wenn ich etwas falsch gemacht hatte.
Die Wochen vergingen, und Cal und ich kamen uns immer näher, wie Vater und Tochter. (Oft kam Kitty erst gegen zehn oder elf Uhr abends nach Hause.) Cal war das Beste in meinem Leben in Candlewick, und ich versuchte manchmal für ihn etwas Besonderes vorzubereiten. Er hatte einen Schwäche für Eierspeisen, also wollte ich ihm etwas kochen, worum er Kitty schon oft gebeten hatte – Käsesouffle. Eine unterhaltsame Fernseh-Köchin brachte mir alles mögliche über Feinschmecker-Gerichte bei.
Der geeignetste Zeitpunkt dazu war nach meiner Meinung ein Samstag, an dem wir in Atlanta ins Kino gehen wollten.
Ich befürchtete erst, daß meine Kochkunst fehlschlagen würde – wie alle meine Kochexperimente. Ich war daher überrascht, als ich das Souffle aus dem Ofen holte, und es aussah, als sei es mir gelungen! Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich mir selbst auf die Schulter geklopft. Ich rannte zum Geschirrschrank, um das gute Geschirr herauszuholen.
Dann stieg ich halbwegs die Kellertreppe hinab und rief mit betont gezierter Stimme: »Es ist angerichtet, Mr. Dennison.«
»Sehr wohl, komme sofort, Miß Casteel«, rief er zurück. Wir aßen im Eßzimmer, und er sah mein flockiges, leichtes Käsesouffle begeistert an. »Wunderbar, Heaven«, sagte er, als er den ersten Bissen kostete. »Meine Mutter machte früher Käsesouffle nur für mich – aber du hättest dir nicht so viel Mühe machen sollen.«
Warum sah er so verlegen aus, als hätte er noch nie in seinem eigenen Eßzimmer gesessen? Ich blickte um mich und hatte plötzlich auch ein peinliches Gefühl. »Jetzt wirst du viel abzuwaschen haben, bevor wir uns in der Stadt ins Vergnügen stürzen können…«
Ach, darum ging’s.
Bestimmt war niemand so schnell wie ich an diesem Nachmittag: Ich verstaute das gute Geschirr in der Geschirrspülmaschine, und während sie lief, rannte ich hinauf, um mich zu waschen und umzuziehen. Cal stand schon fertig unten und lächelte mich an. Er schien erleichtert, daß das Eßzimmer als Museumsstück wiederhergestellt war. Gerade als ich schon hinaustreten wollte, fiel mir etwas ein. »Einen Moment, bin gleich zurück. Kitty soll nicht nach Hause kommen und das Geschirr nicht genau auf seinem Platz vorfinden.«
Inzwischen ging er in den Keller, um sein Werkzeug einzuordnen – und in diesem Augenblick läutete es an der Tür.
Wir hatten so selten Gäste, daß die Klingel mich erschreckte.
Schnell eilte ich zur Tür. Der Briefträger sah mich lächelnd an.
»Ein eingeschriebener Brief für Miß Heaven Leigh Casteel«, sagte er fröhlich.
»Ja, die bin ich«, antwortete ich ihm und starrte auf die vielen Briefe, die er zu einem Paket zusammengebunden hatte.
Er reichte mir einen Zettel, den ich unterschreiben sollte.
Meine Hand zitterte, als ich schrieb.
Nachdem ich die Tür wieder geschlossen hatte, sank ich zu Boden. Die Sonne fiel durch das bunte Türglas auf den Briefumschlag, in dem – dessen war ich mir sicher – ein Brief von Tom steckte. Aber er war nicht von Tom. Es war eine unbekannte Handschrift.
Liebste Heaven,
Ich hoffe, Du bist über meine vertrauliche Anrede nicht böse.
Ich
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