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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Leibeskräften.
    Ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, starrten ihn alle an, sogar Fanny.
    Schließlich fand Großvater die Kraft, sich aus dem Schaukelstuhl zu erheben und seinem Sohn gegenüberzustehen. »Hast jetzt keine Frau mehr, mein Sohn.«
    In seiner Stimme lag Mitleid für seinen Sohn, der schon zweimal verloren hatte und sicherlich sein ganzes Leben lang verlieren würde, obwohl es einzig und allein seine eigene Schuld war. Das waren meine bösen Gedanken in jener Nacht, als unser Vater nach einem Monat in die Hütte zurückgekehrt war.
    »Deine Sarah hat ihre Siebensachen gepackt und ist mitten in der Nacht auf und davon«, schloß Großvater mühsam. Der Umgang mit Worten fiel ihm schon lange schwer.
    »Jemand soll den Zettel holen«, flüsterte Vater, als hätte ihn alle Kraft verlassen. Er schien auf einmal so alt wie Großvater.
    Stumm und mit stiller Schadenfreude ging ich auf ein Regal zu, wo wir ganz oben unsere wenigen wertvollen Sachen aufhoben. Ich griff nach einer Zuckerdose mit abgesprungenem Rand, von der mir Großmutter erzählt hatte, daß Vater sie einmal für Engel neu gekauft hatte. Daraus nahm ich den kleinen Zettel, der viermal gefaltet war.
    »Lies vor«, befahl Vater, der völlig regungslos dasaß und eigenartig aussah.
    »Lieber…!« las ich,
    »Kann nicht länger mit einem Mann sein, der sich einfach nicht genug um mich kümmert. Gehe jetzt wohin, wo es besser ist. Auf Wiedersehen und viel Glück. Sosehr ich dich früher geliebt habe, so sehr hasse ich dich jetzt.
    Sarah«
    »Ist das alles?« schrie Vater und riß mir den Zettel aus der Hand. Er versuchte, die krakelige, kindliche Schrift zu lesen.
    »Haut ab, läßt mich zurück mit fünf Kindern, und dann wünscht sie mir viel Glück.« Er zerknüllte den Zettel und warf ihn in die geöffnete Ofentür. »Zur Hölle mit ihr!« sagte er dumpf, bevor er brüllend aufsprang und seine geballten Fäuste drohend gegen die Decke hob. »Wenn ich sie find’, dreh’ ich ihr den Hals um oder schneid’ ihr das Herz aus’m Leib – wenn ich sie find’. Einfach abzuhauen, wenn keine Frau sonst da ist, kleine Kinder einfach alleine lassen – zum Teufel mit dir, Sarah, das hätte ich nicht von dir erwartet!«
    Wie der Blitz war er aus der Tür draußen. Ich dachte schon, er würde hier und jetzt Sarah suchen und sie töten, aber nach einigen Minuten war er wieder zurück und warf weitere Lebensmittel auf unseren Tisch. Er brachte zwei Säcke voll Mehl, Salz, Speck, Bohnen, getrocknete Erbsen, eine große Dose Fett, Spinat, Äpfel, Kartoffeln, Orangen, Reisbeutel und vieles mehr, was wir noch niemals besessen hatten, Kekse zum Beispiel und Schokoladenplätzchen, Erdnußbutter und Grapefruitmarmelade.
    Unser Tisch bog sich unter den Vorräten, die ein Jahr lang zu reichen schienen. Als er alles ausgebreitet hatte, wandte er sich uns zu, ohne einen von uns direkt anzusprechen.
    »Tut mir leid, daß eure Großmutter tot ist. Tut mir noch viel mehr leid, daß eure Mutter mich hat sitzenlassen, das heißt, euch alle auch. Bestimmt bereut sie’s, daß sie euch weh getan hat, nur um mir eins auszuwischen.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr.
    »Ich verschwind’ wieder und komm’ erst zurück, wenn ich von meiner Krankheit geheilt bin. Bin schon fast gesund und würd’ gern hierbleiben und auf euch aufpassen. Aber das wär’
    zu gefährlich für euch. Außerdem hab ich ‘n Job, der für meine Lage geeignet ist. Also, geht sparsam mit’m Essen um. Ich bring’ erst wieder was, wenn ich ganz auskuriert bin.«
    Entsetzt wollte ich aufschreien und ihm sagen, daß er nicht fortgehen sollte, weil wir den Rest des bitterkalten Herbstes –
    und schon gar nicht den Winter – ohne ihn nicht überleben könnten.
    »Hat keiner von euch ‘ne Ahnung, wo sie hingegangen ist?«
    »Vater!« weinte Fanny und wollte sich in seine Arme werfen, aber er wies sie mit erhobener Hand ab.
    »Berühr mich nicht«, warnte er sie. »Weiß selber nicht genau, was ich hab’, aber es ist ‘ne verdammt ekelhafte Sache.
    Seht ihr, ‘n Mann hat das Ganze hier für mich in die Säcke verstaut. Verbrennt sie, wenn ich fort bin. Hab ‘n Kumpel, der Sarah für mich sucht und sie dazu bringen wird, zurückzukommen. Haltet durch, bis sie wieder da ist oder ich… haltet durch.«
    So grausam und gemein er auch manchmal sein konnte, so hatte er doch lange genug gearbeitet und illegalen Schnaps verkauft, um uns von dem Geld mit Grundnahrungsmitteln versorgen zu können und

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