Dunkle Wasser
uns zusätzlich noch mit ein paar Leckerbissen zu verwöhnen.
Er hatte uns auch so viel Kleidung gebracht, daß wir, wenn auch notdürftig, so doch ausreichend warm angezogen waren.
Ich starrte jetzt nachdenklich auf den Haufen gebrauchter Wäsche, den Fanny gerade mit schrillen Begeisterungsschreien durchwühlte. Jacken und Röcke, Bluejeans für Tom und Keith, Unterwäsche für uns alle, fünf Paar Schuhe – obwohl er unsere jeweilige Größe erraten mußte. Trotzdem war ich dankbar für die schweren, häßlichen Jacken, die schon ziemlich abgetragen waren.
»Vater!« schrie Tom und rannte hinter ihm her. »Du darfst uns nicht allein lassen! Ich tu’, was ich kann, aber ‘s ist nicht leicht, wenn niemand in Winnerrow einem Casteel über ‘n Weg traut. Heavenly geht nicht mehr in die Schule – aber ich muß, Vater! Ich muß, oder ich verreck’ sonst! Vater, hörst du mich? Hörst du mich denn?«
Vater schritt einfach weiter und verschloß seine Ohren, um die traurigen Worte seines Sohnes, den er liebte, nicht zu hören. Und das Jammern und Schluchzen Fannys hat ihn bestimmt noch tagelang verfolgt. Aber seine Tochter namens Heaven flehte und jammerte nicht, noch wandte sie sich mit irgendeinem Wort an ihn. Ich fühlte, wie das Schicksal mit einer kalten Hand mir das Herz nahezu zuschnürte. Ich war allein, so wie ich es in meinem Alptraum immer erlebt hatte.
Allein in der Hütte. Ohne meine Eltern. Und ohne die Möglichkeit, uns durchzubringen.
Allein, wenn der Wind heulte, wenn es schneite, wenn der Pfad hinunter ins Tal unter Eis und Schnee verschwand.
Wir hatten keine Schneestiefel, Mäntel, keine Skier, nichts, was uns den Weg ins Tal, in die Schule, in die Kirche erleichtert hätte. Die vielen Nahrungsmittel, die auf dem Tisch aufgehäuft lagen, würden wohl bald alle sein. Und was kam dann?
Vater stand bei seinem Lieferwagen und sah jeden von uns eindringlich an, einen nach dem anderen, nur mich nicht. Es traf mich tief, daß er sich auch jetzt nicht durchringen konnte, mir in die Augen zu sehen.
»Paßt auf euch auf«, sagte er, und dann war er in der Dunkelheit verschwunden. Wir hörten noch das Aufheulen des Motors, als er losbrauste und den Weg – wo immer er ihn hinführte – hinabfuhr.
Ich tat das, was Sarah auch getan hätte. Ich fing an, die Sachen aufzuräumen, tränenlos, meine Lippen zusammengepreßt und grimmig lächelnd, als ich mich mit der Verantwortung vertraut machte, den Haushalt in der Hütte so lange in Ordnung zu halten, bis Vater wieder nach Hause kam.
8. KAPITEL
GLANZ UND ELEND
Einen kurzen, glücklichen Augenblick lang, bevor Vater uns verließ und in der Dunkelheit verschwand, waren unsere Herzen von Hoffnung erfüllt und beflügelt, aber gleich darauf, als Vater fortging und wir wieder allein waren, sanken wir nur noch tiefer in Verzweiflung. Gefangen wie in einem Alptraum, standen wir dicht aneinandergedrängt und lauschten, nachdem der Motorenlärm in der Ferne verklungen war, den einsamen Nachtgeräuschen. Auf dem Tisch lagen Nahrungsmittel, die bezeugten, daß er sich um uns kümmerte – wenn auch nicht genug. Ich hatte tausenderlei Gründe, ihn zu verfluchen, nicht nur, weil er nicht geblieben war.
Still starrte ich auf den Tisch, der sich unter den Sachen, die Vater mitgebracht hatte, bog. Es war sehr viel – aber würde es auch bis zu seiner Rückkehr reichen?
Das Fleisch, das wir heute nicht essen konnten, verstauten wir in einer primitiven Holzkiste, die uns im Winter als Eisschrank diente. In gewisser Weise hatten wir Glück, daß es Winter war, im Sommer hätten wir alles schnell verzehren müssen, bevor es verdarb. Als Großmutter noch lebte, und zusammen mit Sarah und Vater, waren wir neun Personen gewesen, und wir hatten nie so viel gehabt, daß etwas übriggeblieben und verdorben wäre.
Erst hinterher fiel mir ein, daß Vater am Thanksgiving Day gekommen war und uns unser Festessen gebracht hatte.
Der Hunger diktierte unseren Speisezettel. Allzu schnell schrumpften Vaters Vorräte, die ja bis zu seiner Rückkehr ausreichen sollten, auf Bohnen, Erbsen und unsere Grundnahrungsmittel, Brot und Griebenschmalz, zusammen.
Der heulende Wind trug nicht dazu bei, unsere Gemüter zu erheitern, ebensowenig wie die Kälte, die uns zwang, uns um Old Smokey zu drängen. Tom und ich verbrachten Stunden im Hof; wir hackten Holz, fällten kleine Bäume und suchten Äste, die von den Windböen zu Boden gerissen worden waren.
Das Leben in der Hütte verlief
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