Dunkle Wasser
ihr Geld gearbeitet haben. Ich muß eine Arbeit finden, auch wenn ich erst um Mitternacht nach Hause komm’. Ich kann ja immer ein bißchen aus den Gärten der Reichen stehlen. Die brauchen nicht noch ‘n Extragericht.«
Das Problem war nur, daß die Leute im Tal die Jungen vom Berg immer für Diebe hielten, und es war schwer, irgendeinen Job zu finden. Schließlich mußten wir uns wieder auf Diebestour nach Winnerrow begeben. Eines Tages hatte Tom einen Obstkuchen gestohlen, der auf einem Fensterbrett zum Auskühlen gestanden hatte. Er rannte mit dem Kuchen den ganzen Weg zurück in die Hütte, um die Köstlichkeit mit uns zu teilen. Noch nie hatte ich einen so appetitlich aussehenden Kuchen gesehen, der Kuchenteig ging makellos bis an die Ränder und oben auf dem Kuchen waren in einem Blumenmuster Löcher eingestochen, woraus der Obstsaft quoll.
Es war ein Apfelkuchen, und er schmeckte so gut, daß ich es gar nicht übers Herz brachte, Tom seine Diebeskünste vorzuwerfen.
»Macht ja nichts«, sagte Tom mit strahlenden Augen. »Den Kuchen, den wir gerade verdrückt haben, hat die Mutter deines Freundes gemacht. Und ihr wißt ja, daß Logan alles täte, um Heavenlys Familie glücklich zu machen.«
»Wer ‘s Logan?« wollte Großvater wissen.
»Genau«, brummte eine tiefe, mir bekannte Stimme, »wer ist Logan? Und wo, zum Teufel, ist meine Frau? Warum sieht’s hier aus wie im Saustall?«
Vater!
Er trat mit großen Schritten in den Raum; über seiner Schulter hing ein großer Sack aus Rupfen, offensichtlich voller Nahrungsmittel. Er schleuderte das Mitgebrachte auf den Tisch.
»Wo, zum Teufel, ist Sarah?« tobte er und blickte jeden von uns zornentbrannt an.
Keiner fand die richtigen Worte, um es ihm zu sagen. Vater stand da, groß und schlank, sein bronzefarbenes Gesicht war glattrasiert, und er war blasser als sonst. Er sah so aus, als hätte er große Qualen ausstehen müssen. Er hatte mindestens fünf Kilo abgenommen, und trotzdem sah er frischer, sauberer und in gewissem Sinne sogar gesünder aus als beim letzten Mal. Er war mir immer als ein schwarzhaariger Riese vorgekommen, mit einer Whiskyfahne und dem eigenartigen, überwältigenden männlichen Geruch. Ich zitterte bei dem Gedanken, daß er nun zurückgekehrt war; zugleich war ich erleichtert. So gemein er sein konnte, wenigstens würde er uns vor dem Hungertod bewahren, jetzt, wo der richtige Winter angebrochen war und es von einem Tag auf den anderen schneien würde und der Wind wieder um unsere wackelige Hütte pfiff und sich seinen Weg hineinbahnte, bis uns die Knochen erfroren.
»Kann hier keiner reden?« fragte er höhnisch. »Dachte, ich schicke meine Kinder in die Schule. Lernen wohl nichts dort.
Nicht einmal, ihren eigenen Vater zu begrüßen und ihm zu sagen, daß sie sich freuen, ihn wiederzusehen.«
»Wir freuen uns«, sagte Tom schließlich. Ich stand auf und ging zum Ofen hin, um etwas zu kochen, nun da wir, so wie der Sack aussah, genügend hatten. Und ich wollte auf meine Art Vater mit meiner Gleichgültigkeit verletzen, so wie er es so oft mit mir getan hatte.
»Wo ist meine Frau?« schrie er wieder. »Sarah!« brüllte er.
»Bin zurück.« Man hätte sein Geschrei bis ins Tal hören können – aber es brachte Sarah nicht zurück. Er sah im Schlafzimmer nach, hatte die Vorhänge auseinandergeschoben und stand breitbeinig davor, während er fassungslos hineinsah.
»Draußen aufm Klo?« fragte er und wandte sich dabei an Tom.
»Wo ist Mutter?«
»Ich sag’ es dir gern«, sagte ich, als Tom zu stottern anfing.
Er blitzte mich mit seinen dunklen Augen an. »Ich hab’ Tom gefragt. Antworte mir, Junge – wo, zum Teufel, ist deine Mutter?«
Ich genoß es, daß sich mir endlich die Chance bot, seinen Stolz auch einmal zu verletzen – und ich war bereit, sie zu nutzen. Ich sah es ihm an, daß er sich jetzt darüber Gedanken machte, ob Sarah wohl tot sei – so wie Großmutter, die während seiner Abwesenheit gestorben war. Ich hielt einen Augenblick inne, bevor ich ihn anherrschte.
»Deine Frau hat dich verlassen, Vater«, sagte ich und starrte ihn haßerfüllt an. »Sie konnte keine Leiden und Schmerzen mehr ertragen, nachdem ihr Baby tot auf die Welt gekommen war. Sie konnte es hier in der Hütte nicht mehr ertragen, die ewige Not und einen Ehemann, der seinen Spaß haben mußte, während sie nichts hatte. Sie ist abgehauen und hat dir einen Zettel hinterlassen.«
»Glaub’ ich nicht!« brüllte er aus
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