Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
Der Unternehmer appellierte an Casinis Solidarität unter Männern und bat ihn, die Sache nicht an die Presse zu geben. Der Kommissar konnte förmlich riechen, dass da etwas nicht stimmte. Er forderte den Mann auf, ihn aufs Präsidium zu begleiten, und setzte ihn dort unter Druck. Nach einer knappen Stunde Verhör legte der Unternehmer ein Geständnis ab: Während eines heftigen Streits mit dem Mädchen war es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Die junge Frau war gestürzt, mit dem Kopf gegen die Tischkante gefallen und gestorben. Panikerfüllt hatte er sie an dem Gürtel aufgehängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Aber er hatte nicht vorgehabt, sie zu töten, es war ein Unfall gewesen …
»Sie war nicht tot«, sagte Casini.
»Wie?«
»Als sie aufgehängt wurde, war das Mädchen noch am Leben.«
»Das ist nicht wahr … das kann nicht sein …«, stotterte der Unternehmer und schwankte auf seinem Stuhl.
»Lesen Sie den Autopsiebericht.« Casini reichte ihm Diotivedes Bericht: Das Mädchen war erstickt. Der Schlag auf den Kopf war nicht schwer gewesen, er hatte nur eine Bewusstlosigkeit verursacht.
Der Unternehmer blieb einige Momente mit offenem Mund und aufgerissenen Augen sitzen und brach schließlich in Tränen aus. Casini übergab ihn an zwei Polizisten und ließ ihn ins Gefängnis Le Murate überführen. Dort würde er nicht lange bleiben, so viel Geld wie er hatte. Wie auch immer, der Fall war schnell geklärt. Aber der Tod dieses Jungen … Verflucht noch mal.
»Lassen Sie sich verwöhnen, Commissario«, sagte Totò. Lasagne, Bratwürste und Bohnen, die übliche Flasche Rotwein und Gespräche über Gott und die Welt, angefangen von Politik bis hin zu den Frauen. Der Koch erwähnte nur einmal den Fall des ermordeten Jungen, und Casini gelang es, schnell das Thema zu wechseln.
Nach dem Abendessen fuhr er langsam nach Hause zurück, dabei stießen ihm die fetten Bratwürste auf. Er parkte den Käfer, doch sobald er den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte, hielt er inne. Die Vorstellung, allein vor dem Fernseher zu sitzen, zu rauchen und zu trinken, machte ihn melancholisch, und er überlegte, ob er nicht lieber ins Zentrum laufen und sich einen Film ansehen sollte. Bis zur Spätvorstellung blieb ihm noch eine halbe Stunde. Er machte sich, eine Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, auf den Weg und war entschlossen, sie nicht anzuzünden. Um sich vor dem unangenehmen Nieselregen zu schützen, der weiterhin ohne Unterlass fiel, hielt er sich dicht an den Hauswänden. Von den dunklen Fassaden hoben sich die Fenster als leuchtende Rechtecke ab, hinter denen das zuckende bläuliche Licht der Fernseher zu erkennen war. Hin und wieder kam ein dunkler Schatten auf dem Bürgersteig an ihm vorbei, und zwei Augen funkelten in der Dunkelheit.
Im Cinema Eolo wurde »Drei Bruchpiloten in Paris« gezeigt, aber an diesem Abend mochte er keine Komödie sehen. Er kam an der Bar von Gusmano vorbei, wie immer war sie gefüllt mit alten Männern, die Karten spielten, eine Korbflasche auf dem Tisch. Einige trugen noch ihre Arbeitskleidung. Ein paar Jungs standen um einen Flipperautomaten herum und verfolgten gebannt die Sprünge der kleinen Stahlkugel.
Als Casini in die Via di Santo Spirito einbog, tauchte in seiner Erinnerung eine Frau auf, Milena, eine wunderschöne junge Jüdin, die ihn um den Verstand gebracht hatte. Sie war Mitglied der Weißen Taube, einer Organisation, die Jagd auf ehemalige Nazis machte, die den Nürnberger Prozessen entkommen waren, und hatte ihn verlassen, um ihre Arbeit fortzusetzen. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich jetzt aufhielt, was sie gerade tat und ob sie manchmal an den alten Kommissar dachte, der ihretwegen den Kopf verloren hatte. Ohne es zu bemerken, zündete er sich nun doch die Zigarette an und sog ihren Rauch tief ein. Er wollte nicht an die Frauen denken, die er verloren hatte, sondern an die, die noch kommen sollten … Falls dies geschehen würde. In seinem Alter war es nicht mehr so leicht, eine Frau für sich zu interessieren. Es war sein Unglück, dass er 1910 geboren war. In seiner Jugend hatte man es nicht leicht gehabt, eine echte Beziehung zu führen, solange man keine freizügige Frau fand oder heiratete, und jetzt, da wesentlich mehr sexuelle Freiheit herrschte, hatte er fast zweimal dreißig Jahre auf dem Buckel.
Oben aus einem Wohnhaus ertönte krächzend die Melodie eines alten Tangos. Casini krampfte es das Herz zusammen. Das erste Mal hatte er dieses
Weitere Kostenlose Bücher