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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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Arbeitstisch. Casini warf verstohlen einen Blick in das aufgeschlagene Heft des Tüftlers und sah, dass eine ganze Seite mit mathematischen Formeln vollgeschrieben war. Dantes Spielerei. Der Erfinder hob eine große, halbgefüllte Flasche ohne Etikett hoch.
    »Da ist sie ja«, sagte er und fischte aus der schrecklichen Unordnung vor sich zwei Gläser, die erstaunlicherweise zueinander passten. Die Männer machten es sich in den beiden einzigen Sesseln bequem, die Flasche ließen sie in Reichweite stehen. Dante zündete seine Zigarre wieder an, die er im Mund hatte, und blies einen Rauchkringel zur Decke. Beim ersten Schluck Grappa merkte der Kommissar, wie seine Beine sich entspannten.
    »Kommt die Schleiereule Sie eigentlich immer noch besuchen?«, fragte er.
    »Hin und wieder. Sie taucht plötzlich auf, um dann wieder für einen Monat zu verschwinden … So wie manche Frauen.«
    »Vielleicht entschließt sie sich ja eines Tages zu bleiben.«
    »Das glaube ich nicht, ich kenne die Frauen«, meinte Dante und lachte laut.
    »Ich würde mir gerne hier in der Nähe ein altes Bauernhaus kaufen.« Casini seufzte und träumte von dem Frieden, der in diesem Haus herrschen würde.
    »Davon gibt es so viele Sie wollen. Die Leute fürchten sich noch immer vor dem Land.«
    »Das kann ich verstehen …«
    »Wenn Sie das allen Ernstes vorhaben, beeilen Sie sich. Bald werden diese alten, verlassenen Häuser ein Vermögen kosten.«
    »Glauben Sie wirklich? Dann werde ich bald mit der Suche beginnen, aber erst muss ich noch einen Fall lösen.«
    »Der ermordete Junge?«, fragte Dante. Der Kommissar nickte finster. Sie schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach. Nur das leise Ticken einer Standuhr war zu hören. Ob es immer noch regnete? Irgendwann stand der Erfinder ruhig auf und baute sich, umgeben von dichtem Qualm, vor Casini auf.
    »Für den primitiven Menschen war Gewalt gleichbedeutend mit Überleben. Die Menschen heutzutage müssen nicht mehr für ihr Essen auf die Jagd gehen, sie betreten einen Supermarkt und laden sich dort den Wagen voll. Dieser mächtige animalische Trieb, der sie über Jahrtausende beherrscht hat, sitzt jetzt mit vor dem Fernseher, rasiert sich mit dem neuesten Gerät von Philips, macht am Sonntag einen Ausflug mit der Familie … Doch ab und zu fordert diese Bestie in uns ihren Tribut.«
    »Wenn es bei ab und zu bliebe.«
    »Das menschliche Bewusstsein ist die verheerendste Krankheit der Natur«, dozierte Dante, während er ins Leere starrte.
    »Das ist sehr ermutigend.«
    »Nietzsche, dieser Verrückte, forderte den Menschen auf – den vernunftbegabten, denkenden Menschen, der sich seiner selbst bewusst ist –, diese unverzeihliche Krankheit der Natur zu kurieren, indem er aus freien Stücken in seiner Art aufgeht. Er forderte das Bewusstsein auf, sich in den Dienst der Natur zu stellen, um der menschlichen Rasse die Kraft und die Reinheit des Raubtiers wiederzugeben. Der Instinkt zwingt Tiere zum Kampf untereinander, damit nur der Beste das Weibchen begatten darf, und nach Nietzsche müsste der Mensch dasselbe durch eine Kopfentscheidung erreichen. Absurder geht es nicht, obwohl es ein äußerst faszinierender Gedanke ist. Doch Nietzsche hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht, mehr oder weniger wie Marx … Und beide haben Ungeheuer hervorgebracht.«
    »Uns bleibt immer noch die Democrazia Cristiana«, sagte Casini.
    »Halleluja …«, brummte Dante und setzte sich wieder. Er zog zwei, drei Mal an seiner Zigarre, und sein Gesicht verschwand wieder in einer dichten Rauchwolke. Als er langsam wieder daraus auftauchte, umspielte ein ironisches Lächeln seine Lippen. Casini goss sich noch einmal nach.
    »Bosheit kann ich ja noch verstehen, aber für Grausamkeit fehlt mir jegliches Verständnis«, sagte er melancholisch. Ihn überkam ein höchst unangenehmer Anfall von Selbstmitleid, weil er nicht in der Lage war, seine schmutzige Arbeit als Bulle zu erledigen. Er leerte sein Glas in einem Zug und füllte es gleich wieder. Dantes Stimme schien von weit her, wie vom Grund eines Brunnens zu kommen.
    »Die Tiere, die wir Raubtiere nennen, haben gar keine Möglichkeit, bewusst grausam oder böse zu sein«, sagte Dante und verfolgte mit den Augen die trägen Rauchschwaden, die zur Decke stiegen.
    »Ab und zu gibt es auch einen rechtschaffenen Menschen.«
    »Eine verschwindend kleine Minderheit, wie ein Tropfen Seife in einer Jauchegrube.«
    »Ihr Optimismus rührt mich«, sagte der Kommissar, der im

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