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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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anzuhören, dass er ähnlich verbittert war wie Casini.
    »Folg ihm weiter.« Casini ließ sich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen und zündete sich noch eine Zigarette an, während Piras mit seinem Fahrtbericht weitermachte. Nach einer Reihe Übelkeit erregender Spitzkehren führte die Straße wieder geradeaus, und bei San Lorenzo in Noceto bog der Metzger rechts ab. Piumana, Trivella und dann Predappio.
    Der Kommissar rieb sich die Augen und seufzte. Er wusste genau, dass er auch hier auf dem Präsidium ständig mit Beamten zu tun hatte, die sich nach der Zeit des Faschismus zurücksehnten, nicht zuletzt der Polizeipräsident selbst. Niedergeschlagen überlegte Casini, ob er nicht doch Carlino, dem ehemaligen Partisanen, der die Bar unten in Rosas Haus betrieb, zustimmen musste: Im Grunde ihres Herzens waren alle Italiener unverbesserliche Faschisten. Kinder, die nach einer autoritären Vaterfigur verlangten, um sich beschützt zu fühlen, und damit jemand zu ihnen sagte: »Du kannst ruhig schlafen, ich kümmere mich um alles.« Was wirklich zählte, war schlafen und essen, ohne sich dafür allzu sehr anstrengen zu müssen, große Reden zu schwingen und genügend Geld zu haben, um im Sommer ans Meer zu fahren. Ein Volk von armen Würstchen, das seine Erlösung in Allmachtsfantasien suchte. Ein Italien wie das, für das Franco Casini gegen die Nazis gekämpft hatte, wollte niemand von ihnen.
    Piras kehrte am späten Nachmittag ins Präsidium zurück, nachdem er dem Lancia Flavia des Metzgers bis nach Hause gefolgt war, wo ihn eine andere Zivilstreife abgelöst und die Überwachung übernommen hatte. Im Präsidium humpelte er zu Casinis Büro und ließ sich dort auf einen Stuhl fallen. Er erzählte von der fröhlichen Landpartie nach Predappio, die allerdings ziemlich ins Wasser gefallen war. In den Schaufenstern einiger Geschäfte waren Büsten des Duce aufgestellt, faschistische Rutenbündel, Totenschädel der Zehnten Infanteriedivision der Flotte und schwarze T-Shirts mit der Aufschrift Me ne frego! – Mir doch egal!
    Auf dem protzigen Platz, den Mussolini vor seinem bescheidenen Geburtshaus hatte anlegen lassen, hatten sich etliche Hundert Menschen versammelt, überwiegend Männer. Nicht nur solche, die die Herrschaft des Faschismus noch erlebt hatten, auch junge Leute, die ihn nur aus Erzählungen kannten. Tapinassi und er hatten sich unter die Menge gemischt, ohne dabei den Metzger und seine Freunde aus den Augen zu verlieren.
    Faschistische Lieder, aufpeitschende Kriegsrufe, wehmütige Tränen, Fahnen und Wimpel, Sprechchöre … nichts fehlte. Gegen Mittag war die ganze Versammlung zum Friedhof von San Cassiano weitergezogen, um dem heiligen Grab des Duce in der Familienkapelle einen Besuch abzustatten.
    »Kerle jünger als ich knieten mit Tränen in den Augen nieder wie dankbare Gläubige nach ihrer Wunderheilung vor einem Marienbildnis«, erzählte der Sarde, und seine Mundwinkel zuckten leicht.
    »Mussolini hat die Italiener weit mehr zum Träumen gebracht als die Madonna. Casini stand auf und lief mit den Händen in den Hosentaschen auf und ab, während er auf die Fortsetzung des Berichts wartete.
    »Kurz darauf siegte der Hunger über jede vaterländische Begeisterung«, fuhr Piras fort, der diese ganze sentimentale Versammlung nicht ernst nehmen konnte. Eine Blechkarawane hatte sich nach Forlì geschoben, und dort wurden alle Lokale gestürmt. Tapinassi und er konnten einen freien Tisch in der mit Mussolinipilgern dicht gefüllten Trattoria ergattern, wo Panerai und seine Kameraden zu Mittag aßen. Gnocchi, Tortellini, Lasagne, Tagliatelle, Strozzapreti, Schweine- und Rinderbraten, dazu literweise Lambrusco, Gelächter und Lieder aus der guten alten Zeit. Um nicht aufzufallen, hatten Tapinassi und er mit eingestimmt und so getan, als könnten sie die Texte. Der Wirt hatte zufrieden grinsend dabeigestanden und wohl nur an die Einnahmen gedacht. Zur Feier des Tages hatte er gut sichtbar eine Bronzebüste des Duce mit einem echten Fez auf den Tresen gestellt. Als man zum Hochprozentigen überging, war dann ein kleiner, halb betrunkener Mann um die fünfzig aufgestanden und hatte eine Rede gehalten, eine wirre Lobeshymne auf den Duce und seine edlen Heldentaten. Zum Abschluss hatte er kämpferisch gerufen: » Boia chi molla!« – »Wer aufgibt, ist ein Verräter!« Darauf gab es donnernden Applaus und noch mehr Lieder.
    »Ein wahrhaft unvergesslicher Tag«, meinte der Sarde. Gegen vier Uhr hatten

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