Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
beschützende Mama.
»Nach welcher Größe soll ich fragen?«, sagte Casini, um das Thema zu wechseln.
»Wie heißt sie?«
»Rosa, da gibt es keine Frau.«
»Lüüüüügner!«
»Gar kein Lügner.«
»Pass auf, dass du mit deiner Nase nicht an die Tür stößt, Pinocchio.«
»Jetzt komm schon, Rosa, sag mir die Größe.«
»Wenn ich wählen dürfte, hätte ich lieber eine rote Bluse.«
»Und die Größe?«
»Sag ich dir nicht für alles Geld der Welt«, meinte Rosa und öffnete die Wagentür.
Er lenkte seinen Wagen im Regen durch die Alleen und blies den Rauch seiner Zigarette durch das Ausstellfenster. Der Regen hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Es waren nicht allzu viele Autos unterwegs, viele Florentiner hatten die Stadt verlassen. Die lange Woche mit Allerheiligen und Allerseelen und den Brückentagen hatte begonnen, wenn auch nicht für alle. Die Schulen blieben die ganze Woche über geschlossen, aber einige Geschäfte waren geöffnet. Leider nicht das, in dem die dunkelhaarige Schönheit arbeitete.
Am Morgen war er gegen neun mit klopfendem Herzen in die Via Pacinotti gegangen. Am heruntergelassenen Rollgitter hatte er dann einen Zettel vorgefunden: Geschlossen bis Sonntag, den 6. November. Niedergeschlagen war er wieder in seinen Wagen gestiegen und hatte die Bluse auf den Beifahrersitz geworfen. Er würde eine ganze Woche warten müssen, ehe er die schöne junge Frau wiedersah.
Er war auch im Viale dei Mille vorbeigefahren. Der Metzger hatte seinen Laden geöffnet, und das Zivilfahrzeug mit Piras und Rinaldi parkte ganz in der Nähe. Sie hatten einander mit Blicken gegrüßt und er war weitergefahren. Inzwischen war er überzeugt, dass die Akte Pellissari im Archiv bei den ungelösten Fällen landen würde.
Seit einer Ewigkeit hatte er seine Eltern nicht mehr auf dem Friedhof besucht. In zwei Tagen würde der voll sein mit Blumen und schwarz gekleideten Menschen, und die Toten auf den vergilbten Fotos würden ihren Verwandten zulächeln, die kamen, um mit ihnen zu feiern. Allerheiligen – der Sonntag der Toten. Im Grunde auch das Fest der Überlebenden. Und am Freitag jährte sich auch der Tag des Sieges, also der des Ersten Weltkriegs. Ein anderer Gedenktag für die Toten, genauer gesagt für eine halbe Million Tote, die man unter Fahnen und Orden und vielen pompösen Reden begraben hatte. Ein Krieg der Bauernsöhne, die von ihren Generälen erschossen wurden, weil sie nicht umsonst sterben wollten.
Er hielt einen Moment auf der Vespucci-Brücke an, um den Arno zu beobachten, wie er über das Wehr von Santa Rosa stürzte und dazu dröhnte wie ein stürmisches Meer.
Kurz darauf parkte Casini den Käfer in der Nähe des Eingangstors zum Friedhof von Soffiano, spannte den Schirm auf und stieg aus. Auf dem Bürgersteig ging ein wunderschönes Mädchen vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, und Casini stellte sich vor, dass die Verkäuferin dasselbe tun würde.
Er betrat den Friedhof und ging ohne Eile zum Grab seiner Eltern. Sein Vater wirkte auf dem kleinen Foto mehr denn je wie aus dem vergangenen Jahrhundert, es sah aus, als lächelte er. Seine Mutter schien ihn eher besorgt zu betrachten … Auch er schaute seine Mutter an, mit ihren schön frisierten Haaren, den melancholischen Augen, den zusammengepressten Lippen, als würde sie befürchten, dass ihr eine Klage entschlüpfte. Er durchlebte noch einmal ihren Todeskampf, als er ihre Hand gehalten und ihr zugelächelt hatte.
»Möge Gott dir verzeihen, Franco«, hatte seine Mutter eines Abends geflüstert.
»Was soll er mir verzeihen, Mutter?«
»All die Menschen, die du getötet hast …«
»Es war Krieg, Mutter.«
»Du hast anderen Menschen das Leben genommen, du musst bereuen.«
»Mutter, du kannst dir nicht vorstellen, was ich gesehen habe. Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe … Es war Krieg, Mutter.«
»Im Himmel gelten andere Gesetze als hier auf Erden. Ich habe solche Angst um dich, Franchino.« Da lag sie im Sterben und sorgte sich doch nur um ihn, um seine Seele.
»Ich bereue es, Mutter. Ich habe es schon viele Male bereut, Gott kennt mich gut«, hatte er gesagt, damit sie beruhigt sterben konnte. Seine Mutter hatte gelächelt.
»Jetzt geh, du hast so viel zu tun. Verschwende deine Zeit nicht mit mir.«
»Ich habe nichts zu tun, Mutter. Ich bin gern hier bei dir.«
»Ich muss also erst sterben, damit du mal an meiner Seite bleibst …«
»Sag doch so etwas nicht, Mutter.«
»Entschuldige,
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