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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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neben ihm, nackt, warm, glücklich und in erschöpfter Befriedigung. Wenn er die Hand ausstreckte, konnte er sie berühren, ihr über den Bauch, die Brust, das Gesicht streicheln. Aber er wollte sie nicht wecken …
    Er nahm seine Fantasie so ernst, dass er sich bang fragte, ob sie wirklich in ihn verliebt war … Also, wenn er die ganze Nacht wach bleiben wollte, musste er bloß so weitermachen. Sonst dachte er besser an etwas anderes. Er begann sich im Geiste das Märchen von Rotkäppchen zu erzählen und schlief ein, noch ehe der Wolf die Großmutter gefressen hatte.
    Als er erwachte, war es beinahe zehn, aber ihm kam es so vor, als hätte er nur ein paar Minuten geschlafen. Taumelnd stand er auf und ging zum Fenster. Am Himmel hingen noch schmutzig graue Wolken, aber es regnete nicht mehr.
    Er hatte keine Lust, sich zu rasieren oder zu waschen, und musste sich richtig dazu zwingen. Man durfte die Körperpflege auf keinen Fall vernachlässigen. Das hatte er von Capo Spiazzi während der Kämpfe um den Monte Cassino gelernt. Capo Spiazzi hatte als Erstes verlangt, dass alle Männer immer tadellos und gepflegt aussahen: rasiertes Gesicht, saubere Uniform, sorgfältig angenähte Knöpfe und glänzend polierte Stiefel. Doch das war kein dummer militärischer Drill. Er hatte begriffen, dass diese formelle Strenge half, nicht die Moral zu verlieren. Nach einem absurden Krieg »an der Seite des deutschen Verbündeten« musste Italien weiterkämpfen, um mit Blut für seine unseligen Entscheidungen zu bezahlen. Man konnte nicht mehr hoffen, einen schon verlorenen Krieg zu gewinnen. Das drückte auf die Moral. Wenn man sich zwischen zwei Bombenangriffen um sein Aussehen kümmerte, half einem das, sich nicht gehen zu lassen und zumindest die persönliche Würde zu bewahren.
    Casini verließ das Haus und beschloss, da es nicht allzu kalt war, zu Fuß zum Polizeipräsidium zu gehen, um das Abendessen vom Vortag abzuarbeiten. In den wenigen Autos, die an ihm vorüberfuhren, sah man festlich gekleidete Familien. Casini nahm sich vor, bis Mittag nicht zu rauchen. Gegen Ende des Krieges hatte er einen englischen Offizier kennengelernt, der in einem Jahr rauchte und im darauffolgenden nicht. Nach zwölf Monaten Qualmerei genoss er am einunddreißigsten Dezember seine letzte Zigarette, und nach einem ganzen Jahr ohne Rauchen zündete er sich am darauffolgenden ersten Januar mit Genuss seine erste Zigarette an. Kein Italiener wäre zu so etwas fähig gewesen.
    Als er die Piazza della Repubblica erreichte, betrat er das Café Giubbe Rosse, um dort gemütlich noch einen Kaffee zu trinken. Zwei Tische neben ihm saß eine schöne, aufreizende und ein wenig gewöhnliche Frau um die dreißig. Ihr Begleiter wirkte eher unscheinbar. Sie wusste, dass sie schön war, und obwohl sie niemanden anschaute, merkte sie genau, dass jeder im Raum sie anstarrte. Auch Casini betrachtete sie. Sie verfügte über jene Art von Schönheit, die die Blicke auf sich zieht. Blondes Haar, volle Lippen, mandelförmige Augen. Ein paar Tische weiter saß eine zweite Frau, die ebenfalls schön war, aber auf eine ganz andere Art. Schmal, zart, mit perfekten kleinen Ohren und kastanienbraunen Haaren, die zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Auch sie wurde von einem unscheinbaren Mann begleitet. Sie zog keine Aufmerksamkeit auf sich, ihre Schönheit war nur etwas für Kennerblicke. Die Verkäuferin hatte von beiden Frauen etwas. Genau deshalb gefiel sie ihm so.
    Er beobachtete die beiden Frauen weiter und stellte sich vor, was für ein Leben sie führten. War die Blondine die Geliebte eines reichen Geldsacks, dem sie so viel Kohle wie möglich aus der Tasche zog? Also eine Edelnutte? Und die andere eine junge Mutter, die ihren kleinen Sohn bei der Oma gelassen hatte, um mit ihrem Mann etwas trinken zu gehen?
    Er hörte, wie jemand hinter ihm einen lateinischen Satz vor sich hin murmelte, und drehte sich um. Dort saß ein hagerer, aber rüstiger Herr, er mochte um die siebzig sein, und lächelte ihn an. Er wirkte elegant, hatte schlohweiße Haare und einen Schnauzbart wie ein Habsburger General. Sein Auftreten war sehr würdevoll, und sein schwarzer Anzug schien aus einer anderen Zeit zu stammen.
    »Wie meinen Sie?«, fragte Casini, der ihn auf den ersten Blick sympathisch fand.
    » Der Mensch ist niemals das, was er scheint, schon gar nicht, wenn es sich um eine Frau handelt«, übersetzte der Alte mit einem ironischen Funkeln in den Augen.
    »Juvenal?

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