Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
eine ganze Weile liegen und stellte sich vor, dass ihn in seinem Bett schon die schöne Verkäuferin aus der Via Pacinotti erwartete, halbnackt, und wie sie ungeduldig die Füße gegen das Laken rieb … Man durfte ja noch träumen.
Als er aus der Wanne stieg, fühlte er sich sehr schwach. Er zog sich hastig an, zum Schluss zwei Wollpullover übereinander. Draußen war es dunkel geworden. Der Regen fiel mit beeindruckender Heftigkeit. So einen Guss hatte er noch nie erlebt.
Bei dem Gedanken an Essen wurde ihm schlecht. Er setzte Wasser auf, goss es in ein Glas und löste zwei Löffel Honig darin auf. Das Gemisch trank er in kleinen Schlucken, um den bitteren Geschmack im Hals loszuwerden. Er schluckte noch zwei Aspirin, dann legte er sich zitternd wie Espenlaub und mit dem Thermometer unter dem Arm ins Bett. Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren, und es kam ihm vor, als drückte ein Felsblock auf seinen Kopf. Seit Jahren war es ihm nicht so schlecht gegangen. Er kam sich vor wie ein Kriegsverwundeter, und er hätte sich gern von einer süßen Rotkreuzschwester oder besser noch von dieser dunkelhaarigen Verkäuferin umsorgen lassen …
Casini sah auf das Thermometer. Neununddreißig drei. Als er noch in der Legion San Marco diente, hatte er einmal mit vierzig Grad Fieber mit dem Maschinengewehr gegen die Deutschen gekämpft, und jetzt fühlte er sich, als hätte er nicht einmal die Kraft, einen Apfel zu schälen. Na ja, er war eben alt geworden und brauchte jetzt eine Brühe, eine Wärmflasche und viel, viel Ruhe …
Er sah auf die Uhr. Doch die Zeiger verschwammen vor seinen Augen, und es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass es sieben Uhr war. Er musste unbedingt schlafen. Casini legte sich das Telefon auf den Bauch und rief im Präsidium an. Dort sagte er, dass er sich nicht wohlfühle, nein, es ginge ihm sogar richtig schlecht, und er fügte mit falschem Bedauern hinzu, dass er leider nicht an den Gedenkfeiern für den 4. November teilnehmen könne.
Mühsam stand er auf. Aus einer Truhe holte er alle Decken, die er besaß, und schichtete sie auf dem Bett übereinander. Jetzt musste er tüchtig schwitzen. Er schloss die Fensterläden und die Blenden. Dann zog er auch noch den Telefonstecker aus der Dose, damit ihn niemand wecken konnte, während er schlief. Er schlüpfte unter den Deckenberg und löschte das Licht. Von einer unvermittelten endlosen Traurigkeit übermannt, presste er sein Gesicht ins Kissen. Casini kam sich vor wie der einsamste Mensch auf der Welt. Wo wohl die schöne Verkäuferin jetzt gerade war? Lag sie auf dem Sofa und hörte dem Rauschen des Regens zu? Oder lag sie in den Armen eines hübschen, jungen Mannes? Vielleicht beides …
Kurz darauf schnarchte er wie eine Lokomotive, oder besser gesagt wie ein ganzer D-Zug.
Während Casini schläft, treten die Flüsse im Mugello und im Valdarno Arentino über die Ufer, sie laufen ins Tal und lassen den Arno anschwellen. Das Arnotal wird überschwemmt genau wie Pontassieve, wo eine Brücke einstürzt und ein Haus dem Erdboden gleichgemacht wird …
Das Dunkel fällt auf uns herab,
der Regen fällt auf uns herab,
die Leute lachen jetzt nicht mehr
Kurz nach ein Uhr nachts leckt der Arno an die Bögen des Ponte Vecchio und überflutet den Ortsteil La Lisca in der Gemeinde Lastra a Signa. Die Staatsstraße zwischen der Toskana und der Romagna und alle Verbindungsstraßen zwischen Florenz und Empoli sind nun unpassierbar geworden. Um zwei Uhr morgens reißt der Mugnone die Uferdämme ein und überflutet den Park Le Cascine. In den Ställen dort sind viele Pferde untergebracht. Die Rassepferde werden eilig gerettet, doch die anderen interessieren niemanden, und sie ertrinken. Um halb drei tritt der Arno in Nave a Rovezzano und Villa Magna über die Ufer …
Die Welt verändert sich gerade,
und sie wird sich weiter ändern
Aber seht ihr nicht am Himmel
die blauen Flecken, hell und dunkel?
Um drei Uhr morgens erreicht das Hochwasser des Arno Florenz. Auf dem linken Flussufer, zwischen dem Ponte alle Grazie und dem Ponte Santa Trinità würgen die Abwasserkanäle Schlamm hoch. Inzwischen hat der Wasserpegel des Flusses die Uferbrüstungen erreicht. Um halb vier trifft eine Schlammwelle das Aquädukt dell’Anconella, und Carlo Maggiorelli, ein Wachmann, ist das erste Todesopfer der großen Flut von Florenz: Er bekam gerade einen Anruf, dass er verschwinden sollte, als das tosende Wasser ihn mit sich riss. Die Keller laufen voll, Heizungen
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