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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Ausschau, aber an dem Platz, wo er ihn geparkt hatte, stand er nicht mehr. Warum hatte ihn niemand vom Präsidium angerufen? Er lief zum Telefon und hob den Hörer ab. Kein Signal. Da erinnerte er sich, dass er den Stecker selbst herausgezogen hatte. Er steckte ihn wieder in die Dose, aber das Telefon blieb trotzdem stumm. Er versuchte, das Deckenlicht anzuschalten, aber es funktionierte nicht. Alles war ausgefallen. Er zog sich seinen Mantel an und ging zum Fenster zurück.
    »Er steigt weiter«, sagte jemand in einer der Wohnungen über ihm. Man konnte mit bloßem Auge sehen, wie der trübe Fluss weiter anschwoll. Er führte Schutt und Unrat mit sich, durchbrach Rollgitter und Haustüren. Einige Frauen weinten stumm und wischten sich die Tränen von den Wangen. Die Kinder schauten erstaunt mit großen Augen zu. Die alte Signora Cianfroni aus dem Stockwerk unter ihm beugte sich mit ihrem Hund im Arm über das Fensterbrett. Irgendwo schrie ein Baby.
    »Der Laden … der Laden …«, jammerte über ihm ein Mann, den Casini nicht sehen konnte. Das Wasser stieg immer weiter. Casini wohnte im dritten Stock, und er sagte sich leise, dass das Wasser nicht bis dorthin steigen konnte.
    »Da unten … da ist ein Toter!«, schrie eine Frau. Auf der Wasseroberfläche trieb ein steifer Korpus vorbei, ein Arm war nach oben gestreckt. Casini begriff schnell, dass es kein Mensch, sondern nur eine Schaufensterpuppe war, die die Flut aus irgendeinem Laden mitgerissen hatte, aber er schwieg. Er hatte keine Lust, irgendetwas zu sagen. Mit der Taschenlampe in der Hand ging er ins Bad und deponierte sie dort auf einem Regal. Nachdem er die Spülung gezogen hatte, drehte er den Wasserhahn auf, doch dort kam nur ein dumpfes Gurgeln heraus. Fluchend ging er wieder ans Fenster. Das Wasser war weiter gestiegen. Als er draußen einen Mann rauchen sah, machte er sich auf die Suche nach seinen Zigaretten. Hastig zählte er, wie viele noch im Päckchen waren. Nur noch sechs Stück. Er musste sie sich gut einteilen, da er nicht wusste, wie lange er von der Flut eingeschlossen sein würde. Casini zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie, die Ellenbogen auf das Fensterbrett gestützt, und machte sich darauf gefasst, dass es dauern könnte. Der Fluss trieb gleichmütig vor sich hin und verrichtete sein Werk der Zerstörung. Von fern hörte man einen Helikopter.
    Casini rauchte die Zigarette so weit auf, dass er sich beinahe die Finger daran verbrannte, dann warf er die Kippe aus dem Fenster. Er fasste an den Heizkörper, der so gut wie kalt war. Das Wasser hatte die Keller überflutet, die Heizungskessel funktionierten nicht mehr, und bei dem geöffneten Fenster kühlte die Wohnung aus. Er musste an Botta und seine Wohnung im Souterrain denken. Hatte er sich retten können, falls er doch in der Nacht nach Hause zurückgekommen war? Oder hatte ihn die Schlammflut im Schlaf überrascht? Sicher hatte er seine wenigen Habseligkeiten verloren, der arme Ennio! Auch Rosa ging Casini durch den Kopf, die nur einen Fußbreit vom Arno entfernt wohnte. Wahrscheinlich stand sie jetzt auf ihrem Balkon und schaute jammernd nach unten, während die Katzen im Wohnzimmer spielten. Da sie im fünften Stock wohnte, war sie nicht in Gefahr. Diotivede war ebenfalls in Sicherheit. Bis das Wasser die Via dell’Erta Canina erreichte, musste es erst den Palazzo Vecchio unter sich begraben. Piras wohnte in der Via Gioberti, im dritten Stock, und jetzt tat er Dienst im Präsidium. Und sein Vetter Rodrigo? Casini war nie in seiner neuen Wohnung gewesen, aber er wusste, dass sie ganz oben an einer Steigung lag. Tante Camilla, Rodrigos Mutter, wohnte in der Via Boccaccio, das war fast in San Domenico, und Dante blickte von den Höhen der Hügel auf Florenz …
    Transistorradios wurden herausgeholt, und da fiel Casini ein, dass er ja auch eines besaß. Er schaltete es ein, ehe er zum Fenster zurückkehrte, und hielt es sich ans Ohr. Er hörte, dass in Florenz der Arno über die Ufer getreten sei, die Stadt stehe unter Wasser, sie sei von der Außenwelt abgeschnitten, zweigeteilt …
    Plötzlich bäumte sich das Wasser förmlich auf, und es stieg wesentlich rascher als zuvor. In zehn Minuten mehr als einen halben Meter, während es gurgelnd immer schneller dahinströmte und alles mit sich fortriss. Autos prallten gegen Mauern, stießen gegeneinander, rammten Verkehrszeichen nieder. Ein Durchlauferhitzer trieb rasend schnell vorbei und knallte mit einem lauten Schlag gegen eine

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