Dunkle Wolken über den Schären: Mittsommerträume (German Edition)
eher sollte ich Sie um Verzeihung bitten. Ich habe meine eigenen Fähigkeiten über- und das Unwetter unterschätzt. Damit habe ich mich selbst, aber auch Sie in eine äußerst gefährliche Situation gebracht. Sie waren ja praktisch dazu genötigt, mir zu Hilfe zu eilen.”
Ihre selbstkritischen Worte überraschten Magnus. Offenbar sah sie ihren Fehler ein, und das war mehr, als er eigentlich von ihr erwartet hatte. Im Grunde bedeutete es aber nur, dass sie zu jener Sorte von Menschen gehörte, die spontan agierten und sich erst im Nachhinein Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns machten. Seiner Erfahrung nach ließen sich übrigens die meisten Angehörigen des weiblichen Geschlechts in diese Gruppe einordnen. Die Fremde konnte froh sein, dass sie sich in der Nähe von Vattenfå befunden hatte, als sie in Seenot geriet. Anderenfalls hätte ihr kleines Abenteuer schlimme Folgen haben können.
“Wollen wir ein Stück gehen?” Sie lächelte, und für einen Moment vergaß Magnus den Rest der Welt, konnte die unbekannte Schöne nur fasziniert betrachten. Sie schien wie von innen heraus zu leuchten, und dieses Strahlen ging auch auf ihre nähere Umgebung über. Die Sonnenstrahlen wirkten goldener, das Gras grüner und die Blüten der Blumen prächtiger.
“Was machen Sie eigentlich?”, fragte er, vorrangig, um sich selbst abzulenken. “Beruflich, meine ich.”
Sie lächelte schon wieder. Verflixt, konnte sie damit nicht endlich aufhören? Es brachte ihn jedes Mal vollkommen aus dem Konzept.
“Ich leite das Jugendzentrum, drüben in Lillebom: die Fiskfabrik. Vielleicht haben Sie schon einmal davon gehört?”
Er schüttelte den Kopf. “Bedaure. Wissen Sie, ich verlasse Vattenfå nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt.”
“Fühlen Sie sich hier draußen denn nie einsam?”
“Ich habe doch Fredrik und Magda”, antwortete er, obgleich er wusste, dass es nicht das war, was sie meinte. “Und auf der anderen Seite der Insel leben noch einige Fischer mit ihren Familien. Sie sehen also: So allein, wie sie denken, bin ich hier gar nicht.”
“Und was ist mit Freunden? Familie?”
“Brauche ich nicht”, erwiderte er heftiger als beabsichtigt.
“Es tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten.”
Magnus seufzte. “Nein, es tut
mir
leid. Ich hätte Sie nicht so anfahren dürfen. Was kann ich tun, um es wiedergutzumachen?”
Nach kurzem Überlegen sagte sie: “Sie könnten sich heute Abend von mir zum Essen einladen lassen. Es gibt da ein hübsches kleines Restaurant auf dem Festland, das …”
“Um ehrlich zu sein, ich würde lieber nicht …” Er sprach den Satz nicht zu Ende. Sie schaute ihn jetzt direkt an, und für einen Moment hatte er das Gefühl, in den Untiefen ihrer Augen versinken zu müssen. In dieses unbeschreibliche, karibisch anmutende Blau, das er bisher nur von Ansichtskarten kannte, die aus fernen Ländern stammten und das Fernweh in ihm weckten. “Sie haben mich gefragt, und ich habe Ihnen geantwortet.”
“Natürlich.” Sie nickte. “Trotzdem schade. Es hätte mich sehr gefreut, Sie näher kennenzulernen.”
Und dann lächelte sie wieder.
“Also gut”, hörte er sich zu seinem eigenen Erstaunen selbst sagen. “Aber nur, wenn Sie mir gestatten, die Rechnung zu übernehmen.”
“Ich denke, darüber sollten wir uns unterhalten, wenn es so weit ist.”
Magnus nickte stumm, während er sich fragte, ob er den Verstand verloren hatte, sich auf eine Verabredung mit dieser Frau – noch dazu einer praktisch Wildfremden! – einzulassen. So etwas war ihm schon seit vielen Jahren nicht mehr passiert. Es musste an ihr liegen. Sie hatte offenbar etwas an sich, das seine üblichen Schutzmechanismen außer Kraft setzte.
Seine innere Stimme sagte ihm deutlich, dass er besser daran täte, sich von ihr fernzuhalten. Stattdessen würde er heute Abend mit ihr Essen gehen.
Jenny musste ihre Meinung über Magnus Sund korrigieren. Wo war der mürrische, übellaunige Mann geblieben, der sie gestern aus der stürmischen See gerettet hatte? Heute, bei strahlendem Sonnenschein, schien er jedenfalls wie ausgewechselt.
Dennoch spürte sie überdeutlich, dass ihn etwas belastete. Ihn umgab eine Aura von Traurigkeit, fast schon Verbitterung, wie sie nur Menschen besaßen, die Schreckliches erlebt hatten. Jenny kannte das von früher. So ganz hatte sie ihren sicheren Instinkt für eine interessante Geschichte nicht verloren, der ihr in ihrem früheren Leben so oft behilflich
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